Wir trauern um unsere Freundin und ehrenamtliche MITarbeiterin Ursula Reinsch
Veröffentlicht: 27. August 2016 Abgelegt unter: AKTUELLES | Tags: bibelkundig, Christoferuswerk, Eucharistie, evangelisch, Evangelische Frauenhilfe, Ewigkeit, Felizitas Küble, Friedensgemeinde, Günter Stiff, Heiligenverehrung, KOMM-MiT-Verlag, Marienverehrung, Münster, Michaela Koller, Mitarbeiterin, Olaf Pioch, Rosenkranz, Schlesien, Tod, Ursula Reinsch, verstorben Ein KommentarVon Felizitas Küble
Am heutigen Samstag, den 27. August 2016, ist unsere liebe KOMM-MIT-Freundin und ehrenamtliche Helferin Ursula Reinsch im gesegneten Alter von 90 Jahre verstorben. Die traurige Nachricht traf mich heute Vormittag ziemlich überraschend, wenngleich „unsere Ursel“ bereits schwerkrank war und in diesem Jahr mehrfach in der Klinik lag (auch vor drei Wochen war es wieder soweit).
Als ich Ursula vor zwei Tagen im Klarastift besuchte, konnte sie noch kurze Worte sprechen, wenngleich sie schon recht müde wirkte, was ich vor allem auf das schwüle Wetter zurückführte.
Wir haben gemeinsam für einen älteren Freund, der zur Zeit im Krankenhaus liegt, gebetet. Besonders schön fand es Ursel immer, wenn ich ihr Psalmen, geistliche Hymnen oder klassische Gedichte vorlas. Gestern schien sie vormittags und nachmittags im Tiefschlaf zu sein, so daß ich sie nicht wecken wollte, doch rechnete ich nicht mit einem solch schnellen Heimgang in die Ewigkeit.
Ursula Reinsch und ich können seit Jahrzehnten am selben Tag unseren Geburtstag feiern, nämlich am 28. April. Dieses Mal fiel die „Party“ aber bescheiden aus und bestand aus gesundheitlichen Gründen (sie war schon seit einiger Zeit bettlägerig) nur aus Schokoladeneis mit Sahne. Trotzdem war die Stimmung gut, zumal Ursel von ihrem Gemüt und ihrer Lebenseinstellung her ein zufriedener Mensch war, der auch aus einer unerfreulichen Situation noch das Beste machte.
Leider ist unsere KOMM-MIT-Freundin vor 4 bis 5 Jahren weitgehend blind geworden, denn sie bekam Macula-Degeneration (Netzhautablösung). Dadurch konnte sie Menschen, Möbel und Gegenstände etc. nur noch in Umrissen erkennen.
Das war auch der Grund, warum sie ihre ehrenamtliche Arbeit in unserem gemeinnützigen Christoferuswerk und KOMM-MIT-Verlag mit etwa 85 Jahren beenden mußte, was sie recht traurig stimmte, denn sie hat mit großer Freude, echtem Teamgeist, Regelmäßigkeit und Selbstverständlichkeit über 15 Jahre lang bei uns mitgeholfen.
Bis ins hohe Alter fuhr sie mit ihrem Elektro-Wägelchen ca zehn Kilometer hin und zurück, um bei uns z.B. für die Adressenverwaltung am Computer (!) zu sitzen, bei Versand und Buchhaltung mitzuarbeiten, Texte abzutippen oder unsere Manuskripte zu korrigieren.
Wir hatte immer viel Spaß mit ihrer humorvollen und geselligen Art, wie das Foto oben ahnen läßt, wo sie bei einem unserer Verlagsfeste ihre Kräfte stemmte…
Das zweite Bild zeigt Ursel mit unserer damaligen Buchhalterin Martina Bremshey beim 80. Geburtstag unseres Verlagsgründers Günter Stiff, der im September 2002 verstarb.Kurz vor seinem Tod hat sie ihn noch in der Klinik besucht.
Günter und Ursel waren immer ein fröhliches Gespann, die sich gegenseitig gerne neckten. Kein Wunder auch: Günter war ein typischer Rheinländer, immer gut gelaunt und zu Flaxereien aufgelegt – und unsere Ursula ist in Niederschlesien (Strehlen) aufgewachsen und kannte natürlich das Sprichwort, daß die Schlesier die „Rheinländer des Ostens“ seien. Jedenfalls verstand sie sich mit unserem Team und vor allem mit Günter hervorragend.
Beide waren aber nicht nur lustig, sondern auch nachdenklich, vor allem, wenn es Weihnachten zuging. Dann gerieten Günter und Ursel in feierlich-romantische Stimmung – wie das dritte Foto zeigt, wobei unser Günter ein Stofftierchen von ihr geschenkt bekam, das er erfreut in der Hand hält…
Wenngleich Ursel evangelisch-konservativ (also evangelikal) war, sind wir uns in den meisten religiösen Fragen weitgehend einig gewesen. Als sie Anfang der 90er Jahre mit ihrer MITarbeit bei uns begann, fand sie es ganz selbstverständlich, gemeinsam mit uns das Kreuzzeichen beim Tischgebet zu machen.
Auch das Ave-Maria und den „Engel des HERRN“ betete sie gerne mit uns. Gerade die Marien- und Heiligenverehrung schätzte sie sehr an der katholischen Kirche, ebenso ihre Lehre über die Eucharistie bzw. das Altarsakrament. Die Lebensbeschreibungen von Heiligen suchte sie aus Büchern heraus und tippte sie auf ihrer Schreibmaschine ab – für jeden Heiligen ein eigenes Blatt.
Als Ursula noch lesen konnte, wünschte sie von mir zu Weihnachten das gerade erschienene Jesus-Buch von Papst Benedikt, ein Jahr später seine Meditationen über die Heilige Schrift. Mit diesem Pontifex fühlte sie sich eng verbunden. Ihre Frömmigkeit war christozentrisch und speiste sich stark aus der Bibel und geistlichen Liedern.
In ihrer Handtasche trug Ursel eine Anleitung zum Rosenkranzgebet sowie eine kleine Marienbroschüre. Zudem sammelte sie Madonnen-Postkarten aus aller Herren Länder und vielerlei Kunstepochen. In ihrer Wohnung stand eine geschnitzte Marienstatue mit Christkind aus schwarzem Elfenbein, die aus Afrika stammte.
Als unser Verlagsleiter Günter Stiff verstarb, wir natürlich viel „um die Ohren hatten“ und eine Menge Dinge regeln mußten, fragte Ursula uns bei Tisch etwas verblüfft: „Sagt mal, wann gehen wir denn jetzt zu Günter und beten den Rosenkranz?!“ – Oho, dachte ich mir, d a s muß uns von evangelischer Seite gesagt werden, vielleicht hätten wir es sonst noch verbummelt…
Jedenfalls wußten wir nun, was die Stunde geschlagen hatte und fuhren mit Ursel los zum Beerdigungsinstitut – gemeinsam mit unserem damaligen Praktikanten Olaf Pioch, unserer Ferienhelferin Michaela Koller (heute ist sie IGFM-Mitarbeiterin in Frankfurt) und mir.
Das letzte Foto zeigt Michaela, Ursel und Olaf – wir waren ein tolles Team und werden „unsere Ursel“ sehr vermissen, denn sie war ein warmherziger, hilfsbereiter und im guten Sinne frommer Mensch, zudem sehr belesen, vielseitig und vor allem bibelkundig.
Auch in ihrer evangelischen Kirchengemeinde (der Friedenskirche in Münster-Gremmendorf) war sie jahrzehntelang gerne aktiv, vor allem in der Evangelischen Frauenhilfe von Münster-Gremmendorf, wo sie noch bis Anfang dieses Jahres, wenn es irgendwie möglich war, an den monatlichen Treffen teilnahm, obwohl sie bereits einen Rollstuhl benötigte.
Als Ursel noch besser auf den Beinen war, besuchte sie öfter Vorträge und Seminare von katholischer wie von evangelischer Seite. Beruflich war Ursula vielseitig tätig, als Krankenschwester, Kontoristin, Stenotypistin, Sekretärin und als evang. Gemeindeschwester in Münster-Wolbeck.
Nun weilt unsere bewährte liebe Freundin seit dem heutigen Tage nicht mehr irdisch unter uns, doch in unserem Herzen und auch in unseren Gebeten bleibt sie unvergessen: R.I.P.
Unsere Autorin Felizitas Küble leitet den KOMM-MIT-Verlag und das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt.
HINWEISE: Der Trauergottesdienst ist am Mittwoch, den 7. September 2016, um 10 Uhr in der evangelischen Friedenskirche in Münster-Gremmendorf. Die Beisetzung um 11 Uhr auf dem 1 – 2 km entfernten Friedhof „Hohes Ufer“.
Kontakt: Felizitas Küble, 48167 Münster, Schlesienstr. 32, Tel. 0251-616768, Fax 0251-614020, Mail: felizitas.kueble@web.de
Lucia und Jacinta am 13. Oktober 1917 in Fatima: „Der Krieg geht heute zu Ende“
Veröffentlicht: 19. Juli 2016 Abgelegt unter: Botschaften: Fatima und La Salette | Tags: Befragung, Beichte, Botschaft, Dr. Formigao, Erscheinung, Fatima, Fatima-Literatur, Felizitas Küble, Francisco, Jacinta, Krieg, Lucia, Madonna, Maria, Marienerscheinung, Rosenkranz, Seherkinder, Sonnenwunder, Vertuschung 13 KommentareVon Felizitas Küble
In Europa sind zwei kirchlich genehmigte Marienerscheinungsorte besonders bekannt, nämlich Lourdes und Fatima.
Wenn die Kirche eine Privatoffenbarung approbiert (billigt, gestattet, „anerkennt“), dann bedeutet dies keine Glaubensverpflichtung für Katholiken, sondern lediglich eine Erlaubnis zur Zustimmung. Erscheinungen sind also weder heilsnotwendig noch Bestandteil des Glaubensgutes („depositum fidei“) oder der amtlichen kirchlichen Verkündigung. Daher ist den Gläubigen eine sachliche Kritik an Privatoffenbarungen seit jeher erlaubt.
Das 360 Seiten starke Buch „Fatima von Anfang an“ gehört zwar durchaus zur Fatima-begeisterten Literatur, ist aber nicht in allem stromlinienförmig; so wird zB. den Aussagen von Sr. Lucia nicht immer voll zugestimmt und die Erzählweise der Publikation ist insgesamt recht nüchtern.
Dieses Buch von Pater Joao de Marchi schildert u. a. die Befragung von Seherkindern durch Prof. Dr. Formigao am Abend des 13. Oktober 1917, also einige Stunden nach dem spektakulären Sonnenwunder in der Nähe von Fatima.
Dabei wird das damalige Protokoll des portugiesischen Geistlichen zitiert – auch das Gespräch mit Jacinta (S. 201):
Der Priester fragte das Seherkind: „Was hat die Dame gesagt?“ – „Sie sagte, wir sollen jeden Tag des Rosenkranz beten, und daß der Krieg heute zu Ende geht.“ – „Zu wem sagte sie das?“ – „Zu Lucia und mir, Francisco hörte nichts.“
Was nun das Interview mit Lucia am selben Abend betrifft, so ist die entsprechende Stelle gestrichen worden. Auf die Frage, was Maria ihr kurz vor dem Beginn des Sonnenwunders mitgeteilt habe, antwortete die Seherin demzufolge (S. 199):
„Sie sagte, wir sollen unser Leben bessern und unseren Herrn nicht mehr beleidigen, der sei schon so viel beleidigt worden und daß wir täglich den Rosenkranz beten und um Verzeihung unserer Sünden bitten sollen.“
In Wirklichkeit geht es an dieser Stelle in Dr. Formigaos Protokoll wie folgt weiter: „….daß der Krieg heute aufhören werde und daß wir unsere Soldaten sehr bald erwarten sollen.“
„Ernsthafte Zweifel an der Echtheit“
Nachdem der Krieg an diesem Tag des Sonnentanzes keineswegs zu Ende ging (sondern erst im nächsten Jahr), fragte Dr. Formigao die Seherkinder am 19. Oktober 1917 noch einmal. Dieses Protokoll wird in dem erwähnten Buch ab S. 205 wiedergegeben.
Eingangs heißt es: „Am 13. Oktober sagten beide, Lucia wie auch Jacinta, daß sie aus dem Mund der Seligen Junfrau die Worte „Der Krieg wird heute zu Ende gehen“ gehört hatten.“
Der Verfasser dieses Pro-Fatima-Buches räumt ein: „Diese Aussage der Seher konnte ernsthafte Zweifel an der Echtheit der Erscheinungen hervorrufen“.
Daher habe sich Dr. Formigao am 19. Oktober erneut zu den Kindern aufgemacht, um sie zu befragen.
Jacinta reagierte zunächst eher ausweichend („sie sagte, der Krieg würde zu Ende gehen“) und verwies auf Lucia, weil diese die Erscheinung besser verstanden habe. Lucia blieb ihrer ursprünglichen Aussage treu und beharrte zweimal darauf („Ich weiß nur, daß ich sie sagen hörte, der Krieg gehe an diesem Tag zu Ende“), wobei bereits klar war, daß diese Ankündigung ein Irrtum war.
Wie aus der wissenschaftlichen Studie „Rosenkranz und Kriegsvisionen“ von Monique Scheer hervorgeht, worin jenes Protokoll ausführlicher abgedruckt ist, hat sich Lucia im weiteren Verlauf des Interviews dann doch noch verunsichert geäußert: „Ich erinnere mich schon nicht mehr gut, was sie (Maria) sagte. (…) Vielleicht habe ich Unsere Liebe Frau nicht gut verstanden.“ – Und Jacinta erklärte auf erneute Nachfrage, wann der Krieg zu Ende gehe: „Ich glaube, er geht am Sonntag zu Ende.“ – Dies war dann freilich auch nicht der Fall (vgl. S. 52).
„Widersprüchliche oder unklare Aussagen“
Abschließend schreibt Pater Joao de Marchi, der Buchautor, trotz seiner sonstigen Fatima-Anhänglichkeit folgendes dazu: „Wie man sieht, handelt es sich bei der Frage, das Ende des Krieges betreffend, um widersprüchliche oder unklare Aussagen.“
Auf S. 211 schildert der Verfasser die kirchenamtliche Befragung der Untersuchungskommission vom 8. Juli 1924. Auch dort habe Lucia – ca sieben Jahre nach dem Ereignis – daran festgehalten, daß die Madonna betreff des Kriegsendes von „heute“ gesprochen habe.
Zugleich erwähnte sie damals eine ganz neue Variante hinsichtlich ihrer Cousine Jacinta, denn diese habe ihr „später“ gesagt, die Gottesmutter habe am 13. Oktober 1917 folgendes mitgeteilt: „Die Menschen müssen sich bekehren, der Krieg wird innerhalb eines Jahres zu Ende gehen.“
Diese Version taucht allerdings in den drei diesbezüglichen Gesprächen von Dr. Formigao mit Jacinta nicht auf. Dort hat sie beim ersten Mal „heute“ gesagt, dann beim zweiten Interview (wie bereits erwähnt) verunsichert auf Lucia verwiesen, beim dritten Mal (am 2. November 1917) plötzlich wieder eindeutig „heute“ gesagt (vgl. S. 213).
Vom schwierigen Umgang mit einer Schwierigkeit
Im Fatima-Schrifttum wird das offensichtliche Problem größtenteils auf zweifache Weise umgangen:
Teilweise bleibt diese HEUTE-Aussage einfach unerwähnt, so etwa in dem weitverbreiteten Buch „Rom – Moskau – Fatima“ von Pater Dr. Otto Bohr. Dort werden die Ereignisse des 13. Oktober 1917 zwar auf 14 Seiten breit geschildert, dieser Satz aber ausgelassen.
Neben Kürzungen gibt es unrichtige Darstellungen, die da lauten: „Der Krieg geht seinem Ende entgegen“ (das wäre ohnehin eine banale Aussage des Himmels, zumal jeder Krieg mal seinem Ende entgegengeht) – oder „Der Krieg geht bald seinem Ende entgegen.“
Eine weitere Variante, diese Schwierigkeiten zu umgehen, besteht darin, sie in eine Wenn-Dann-Prophetie umzuwanden. So heißt es in dem vom Clarentinerpater Abilio Ribeiro verfaßten Buch „Fatima – Botschaft und Weihe“ auf S. 22: „Wenn die Menschen sich bessern, wird der Krieg heute noch zu Ende gehen.“ – Es ist zwar hier zutreffend das Wort „heute“ erwähnt, aber eine ursprünglich nicht vorhandene WENN-Einschränkung vorgenommen: „Wenn die Menschen sich bessern…“
Eine gewisse Glättung der Problematik wird auch darin erkennbar, bei diesem Thema nicht mehr wörtlich zu zitieren, sondern auf eine indirekte Schreibweise umzusteigen, so zB. in dem bekannten Buch „Fatima und Pius XII.“, das der katholische Verlagsleiter Johannes M. Höcht verfaßte. Dort kann man lesen: „Der Krieg gehe dem Ende entgegen.“ (S. 75)
Prof. Fonseca verbannt das Problem in Fußnoten
Das bekannteste Fatima-Buch ist wohl der Klassiker „Maria spricht zur Welt“ von Prof. Dr. Gonzaga de Fonseca.
Er schreibt in der 18. Auflage hierzu auf S. 91 hinsichtlich der Äußerungen Lucias betr. dieser Marienbotschaft: „Sie fügte hinzu, der Krieg gehe dem Ende entgegen und die Soldaten würden bald heimkehren.“
Allerdings wird immerhin in einer Fußnote erwähnt, Lucia und Jacinta hätten bei verschiedenen Befragungen geäußert, die Madonna habe gesagt: „Der Krieg wird heute zu Ende gehen….“ (Es wird danach versucht, diese Aussagen zu relativieren.)
In dem 1975 erschienenen Buch „Schwester Lucia spricht über Fatima“ berichtet die Seherin selbst auf S. 158 über die Ereignisse des 13. Oktobers. Dort wird die Marienbotschaft von ihr wie folgt zitiert:
„Ich möchte dir sagen, dass hier eine Kapelle zu meiner Ehre gebaut werden soll; ich bin unsere Liebe Frau vom Rosenkranz; man soll weiterhin täglich den Rosenkranz beten. Der Krieg geht zu Ende und die Soldaten werden in Kürze nachhause zurückkehren.“
Auf S. 159 gibt es dazu aber ein „Nachwort“ von ihr, das Sei damals an ihren Bischof sandte. Darin heißt es:
„Ich hatte so viel damit zu tun, mich an die zahllosen Gnaden zu erinnern, um die ich Unsere Liebe Frau bitten sollte, dass mir dadurch möglicherweise ein Irrtum unterlaufen ist, als ich nämlich sagte, der Krieg werde am selben Tag, dem 13., zu Ende gehen.“
Tatsache ist also: Die Hauptseherin Lucia beharrte von 1917 bis 1924 auf dem Wort HEUTE. Wenn dies auch ein objektiver Irrtum war, so wollte sie diesem immerhin persönlich „treu“ bleiben und sich nicht hinterher um ihre Ursprungs-Worte „herummogeln“.
Ende der 30er Jahre, als sie für den damaligen Diözesanbischof eine Niederschrift über die Fatima-Ereignisse anfertigte, kehrte sie diesen Ausdruck zunächst unter den Tisch, um dann in einem Nachwort den damaligen Fehler endgültig einzuräumen.
Abschließend noch eine Bemerkung zur – ebenfalls von Lucia erzählten – Marienbotschaft vom 13. Oktober 1917, dem Tag des Sonnenwunders: „Sie sagte, wir sollen unser Leben bessern und unseren Herrn nicht mehr beleidigen, der sei schon so viel beleidigt worden und daß wir täglich den Rosenkranz beten und um Verzeihung unserer Sünden bitten sollen.“
Schön und gut, aber warum ist hier nicht von der Beichte die Rede? Wäre das nicht sehr passend? – Natürlich ist der Rosenkranz ratsam und die Reue bzw. Bitte um Verzeihung unentbehrlich. Das ändert nichts daran, daß das Sakrament der Buße bei schweren Sünden notwendig und bei läßlichen Sünden sehr empfehlenswert ist.
WEITERE ARTIKEL zum Thema Fatima, Sonnenwunder usw. hier: https://charismatismus.wordpress.com/category/fatima-und-thema-sonnenwunder/
Felizitas Küble leitet den KOMM-MIT-Verlag und das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt.
Die Engelserscheinungen von 1916 und das Schweigen der Seherkinder von Fatima
Veröffentlicht: 17. Juli 2016 Abgelegt unter: Botschaften: Fatima und La Salette | Tags: 1916, bischof, Engelserscheinungen, Fatima, Francesco, Hauptseherin, Jacinta, Kirche, Lucia, Portugal, Schweigen, Untersuchungskommission, Verschweigen, Visionen, Zeugin 31 KommentareVon Felizitas Küble
Derzeit wird in katholischen Zeitungen und Zeitschriften, in Sonderblättern und Themenheften vielfach auf das hundertjährige Jubiläum der Engelserscheinungen von Fatima hingewiesen, die dort in Portugal im Jahre 1916 stattgefunden haben sollen – also ein Jahr vor den weltbekannten Marienerscheinungen.
In der schwäbischen Gebetsstätte Marienfried findet anläßlich dieser Vorgänge von 1916 sogar ein dreitägiges Symposium mit hochrangiger Besetzung statt, das am Montag, den 18. Juli 2016 beginnt. (Plakat siehe hier: http://www.marienfried.de/new/index_htm_files/Grosser%20Gebetstag%202016%20Plakat__.pdf)
FOTO: Titelbild eines Themenheftes der Zeitschrift „Fatima ruft“ über die Engelserscheinungen von 1916
Was jedoch in fast allen Vorträgen und Veröffentlichungen unerwähnt bleibt (sei es bewußt oder wohl eher doch aus mangelnder Kenntnis der Sachlage), ist die merkwürdige Tatsache, daß die drei Seherkinder von Fatima damals über diese immerhin monatelang andauernden Engelsvisionen komplett geschwiegen haben.
Daß die Phänomene überhaupt stattgefunden haben sollen, erfuhren Welt und Kirche erst mehr als zwei Jahrzehnte später von Sr. Lucia, der einzig noch lebenden Seherin von Fatima.
Die beiden anderen Visionärinnen, nämlich Jacinta und Francesco, waren krankheitsbedingt schon im Kindesalter verstorben. Aber auch sie haben ebenso wie Lucia bei den Befragungen durch Ortspfarrer Manuel Ferreira (der zwar anfangs, aber später nicht mehr an die Fatima-Erscheinungen glaubte und sich daher in eine andere Pfarrei versetzen ließ) oder sonstige Kirchenvertreter kein Wort von jenen Begegnungen mit dem Engel berichtet, der sich den drei kleinen Hirtenkindern als „Schutzengel Portugals“ und als „Engel des Friedens“ vorgestellt hatte.
Unter den drei Hirtenkindern von Fatima spielt Lucia – die älteste von ihnen – die Hauptrolle; sie allein sprach mit der Marienerscheinung, Jacinta konnte sie nur anschauen und anhören. Francisco hingegen konnte sie nicht einmal hören, sondern nur sehen (und natürlich hören, was Lucia sagte). Somit ist Lucia eindeutig die Hauptseherin.
Als einige Jahre nach den Marienerscheinungen eine bischöfliche Untersuchungs-Kommission eingerichtet wurde, in der Lucia (die anderen beiden Kinder waren schon verstorben) eingehend befragt wurde, hat sie sich mit keiner Silbe über jene Engelserscheinungen geäußert.
Dabei besteht freilich eine strenge Pflicht, die ihr auch bekannt war, gegenüber den kirchlichen Vertretern alle Einzelheiten über die erlebten Kundgaben und Botschaften des Himmels zu berichten. Diese Forderung ist völlig berechtigt und logisch: Wie soll eine Kommission sonst imstande sein, ein vernünftiges, sachgerechtes Urteil über eine „Privatoffenbarung“ zu fällen, wenn ihr wesentliche Merkmale und Vorgänge nicht bekannt sind?
Tatsache ist aber, daß die Visionärin Lucia dos Santos (siehe Foto) erst Jahrzehnte später, als sie längst als Ordensfrau in einem Kloster lebte, erstmals über jene Engelserscheinungen von 1916 Auskunft gab. Daher findet man in der älteren Fatima-Literatur bis Ende der 30er Jahre keinerlei Hinweise darauf, natürlich auch nicht in den Akten der kirchlichen Untersuchungskommission.
Sr. Lucia begann erst in den Jahren 1936 bis 1941, bislang von ihr komplett verschwiegene Vorgänge im Zusammenhang mit den Fatima-Erscheinungen aufzuschreiben und ihrem Diözesanbischof zu übermitteln. Über jene Engelsvisionen berichtet sie in ihrer sog. „Zweiten Erinnerung“, die sie am 21. November 1937 zu Ende schrieb.
Das bedeutet, daß sie über zwanzig Jahre nach jenen Engelsvisionen erstmalig darüber informiert hat. Die Frage stellt sich, ob sie denn nach so langer Zeit wirklich noch alle Einzelheiten (einschließlich z.T. recht langer Gebete des Engels) wissen konnte? Und mit welcher Berechtigung hat sie diese Vorgänge so lange verschwiegen?
„Nach 20 Jahren schlug diese Enthüllung wie eine Bombe ein“, schreibt Pater J. de Marchi auf S. 8 in seinem Buch „Fatima von Anfang an“.
Warum hat Sr. Lucia gewartet, bis am 13. Mai 1930 die bischöfliche Approbation (Billigung, Erlaubnis) der Fatima-Erscheinungen erfolgte – und erst viele Jahre später Auskunft über jene drei Engelserscheinungen gegeben? (Der zuständige Bischof von Leiria hat den Glauben an Fatima natürlich – wie kirchlich in solchen Fällen üblich – nicht etwa vorgeschrieben, sondern lediglich erlaubt; wörtlich heißt es in seinem Dekret, daß „die öffentliche Verehrung Unserer Lieben Frau von Fátima gestattet“ sei.)
Dazu kommt, daß Lucia die einzige „Zeugin“ dieser Ereignisse ist, nachdem die beiden anderen Seherkinder schon lange verstorben waren. Es hängt somit das gesamte Geschehen von 1916 allein an ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit.
Hier stellt sich aber die Frage, warum sie nicht nur die drei bekannten und vieldiskutierten „Geheimnisse“ von Fatima jahrzehntelang für sich behielt, sondern auch diese Engelsvisionen, obwohl sie doch in keinerlei Zusammenhang mit den sog. Geheimnissen stehen.
Am 13.2.2005 stirbt Lucia dos Santos im Alter von 97 Jahren in ihrem Kloster in Coimra. Der portugiesische Ministerpräsident Pedro S. Lopes ordnete damals eine landesweite Staatstrauer an, war die Verstorbene doch die weltbereit berühmteste Seherin des Landes.
Angeblich soll sie ihren Todestag schon im voraus gewußt und angekündigt haben, wie in einigen Fatima-Zeitschriften zu lesen ist. Freilich fragt man sich nach dem theologischen Sinn eines solchen Mirakels. Zudem hätte man gerne gewußt, warum dies angebliche Vorauswissen des eigenen Sterbe-Tages erst n a c h ihrem Tod bekannt wurde. Solche „Nachher-Prognosen“ gibt es öfter in der Causa Fatima!
Weitere Infos zu den Engelserscheinungen: https://charismatismus.wordpress.com/2014/03/09/fatima-fragen-zum-gebet-des-engels/
Hier Nachfragen und Einwände zum Fatima-Zusatz (Rosenkranz): https://charismatismus.wordpress.com/2014/03/06/warum-der-fatima-zusatz-nicht-zum-eigentlichen-rosenkranzgebet-gehort/
Mehr Ehrfurcht vor der Würde des Todes
Veröffentlicht: 19. November 2014 Abgelegt unter: LEBENSRECHT (Abtreib./Euthanasie) | Tags: Ehrfurcht, Gebet, Lucia Tentrop, sterbehilfe, Sterben, Würde des Todes Hinterlasse einen KommentarVon Lucia Tentrop
Das öffentliche Verlangen nach Sterbehilfe ist mir unerträglich geworden. In dem Reden vom „menschenwürdigen“ Sterben spüre ich weder eine Demut vor dem, was uns übersteigt, noch eine Ehrfurcht vor der Würde des Todes.
Eher kommt es mir vor wie der neueste „Hit“ im Geschäft mit der unreflektierten Angst.
In den letzten vier Jahren starben meine Mutter und drei meiner Freundinnen, letztere an Krebs. Dank medizinischer Hilfen hatten alle einen sanften Tod.
Während der häuslichen Pflege meiner Mutter im Münsterland hatte ich oft Angst, dass es soweit war. Aber als sie in den letzten zwei Jahren im Sendenhorster St. Elisabeth-Stift betreut wurde, konnte ich mit den dortigen Pflegerinnen immer wieder offen über den Tod sprechen, hatte Einblick in den täglichen Ablauf ihrer Arbeit und durfte an fast allen Gegebenheiten der Station aktiv teilnehmen. Wenn ich in Sendenhorst mittags vor dem Pflegeheim aus dem Bus stieg, verwandelte sich meine bedrückte Stimmung in eine Liebe, die tiefer war als meine Angst, und an die ich mich heute wieder spürbar erinnere.
Als in unserem Berliner Mehrgenerationenhaus „Haus Helene Weber“ unsere Freundin Christel starb, haben wir im Freundeskreis um sie herum gesessen und gesungen. Ihr Bruder aus Wien hatte die Liederbücher der Familie mitgebracht. Christel lag an Schläuchen. Sie konnte weder essen noch trinken. Aber sie konnte noch die 2. Stimme der ihr bekannten Volkslieder singen!
Als unsere Freundin und Journalistin Roswitha in ihrer Wohnung starb, war ihre Wohnung stets offen. Wir haben zu 5 – 7 Leuten an ihrem Bett gesessen und immer wieder gemeinsam den Rosenkranz gebetet – und der Fotograf der Vatican-Redaktion ließ uns telefonisch mitteilen: „Wir beten hier in Rom mit!“
„Der Tod: ständiger Schatten unseres Lebens“
Als nachts der Geistliche aus dem St.Gertrauden-Krankenhaus mit den Sterbesakramenten ins Haus kam, war rief er betroffen aus: „Wo gibt es denn das noch, dass ein Mensch so selbstverständlich im Kreis seiner Freunde sterben kann!“
Kürzlich starb unsere Freundin Ingrid. Sie war Krankenschwester. Als sie nach den Bestrahlungen wieder in ihre Wohnung zurückkam, kam ihre beste Freundin Resi aus Rosenheim nach Berlin, quartierte sich in Ingrids Wohnung ein und hat nachts bei ihr geschlafen. Heute Nachmittag saßen wir mit bis zu 7 Mieterinnen gemeinsam an Ingrids Totenbett.
Was weiß die öffentliche Meinung von der Gemeinschaft stiftenden Kraft eines offenen Umgangs mit dem Tod?
Angesichts unserer medizinischen Möglichkeiten empfinde ich das Begehren nach erlaubter Tötung und seine Begründung mit „menschenwürdigem“ Sterben als Tarnung einer Angst, der man ausweicht. Hat denn der Tod nicht auch seine Würde? Warum geben wir einer Macht, die uns übersteigt, nicht die Anerkennung unseres Bewusstseins?
Ich finde es menschenunwürdig, das Sterben aus unserem gesellschaftlichen Leben zu verdrängen bzw. auf dem Niveau von Talk- und Boulevard-Politik zu diskutieren.
Der Tod ist der ständige Schatten unseres Lebens, sein notwendiger Gegenpol. Nicht erst aus der Psychologie wissen wir, dass die Annahme und Reflexion eines unliebsamen Schattens ein unschätzbarer Gewinn und das eigentliche Ja zum Leben ist.
Unsere Autorin ist Musikwissenschaftlerin und Religionspädagogin, geboren im Münsterland, heute in Berlin lebendKontakt-Daten: Wundtstraße 40-44, Haus Helene Weber, 14057 Berlin, Tel.: 030-325.46.11
Instruktion der päpstlichen Glaubenskongregation vom 14.9.2000 über Leiden, Heilung, Krankensalbung und „Heilungs-Charisma“
Veröffentlicht: 18. Februar 2013 Abgelegt unter: Charismatik / Pfingstbewegung, PAPST / VATIKAN aktuell | Tags: Bestimmungen, Charisma, Glaubenskongregation, Heilung, Heilungsgottesdienste, Jesus, Krankensalbung, Krankheit, Leiden 3 KommentareVollständige Dokumentation
KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
Instruktion vom 14.9.2000 über die Gebete um Heilung durch Gott
EINLEITUNG
Das Streben nach Glück ist tief im Menschenherz verankert und schon immer von der Sehnsucht begleitet, von Krankheit befreit zu werden und ihren Sinn zu verstehen, wenn man davon betroffen ist. Es handelt sich um ein menschliches Phänomen, das auf die eine oder andere Weise jede Person angeht und in der Kirche ein besonderes Echo findet. Die Krankheit wird von ihr nämlich als ein Mittel der Vereinigung mit Christus und der geistlichen Läuterung verstanden und bildet für jene, die mit der kranken Person zu tun haben, eine Gelegenheit, die Liebe zu üben.
Darüber hinaus ist die Krankheit – wie auch andere menschliche Leiden – eine Situation, die besonders zum Gebet einlädt: sowohl um die Kraft, die Krankheit mit gläubigem Sinn und Hingabe an Gottes Willen anzunehmen, wie auch um die Gnade, davon geheilt zu werden.
Das Gebet um die Wiedererlangung der Gesundheit ist in jeder Epoche der Kirche zu finden, natürlich auch in der Gegenwart. Neu ist in gewisser Hinsicht, dass die – manchmal mit liturgischen Feiern verbundenen – Gebetsversammlungen zunehmen, bei denen Gott um Heilung angefleht wird. In verschiedenen, nicht ganz seltenen Fällen wird erklärt, dass tatsächlich Heilungen erfolgt sind.
Dadurch entstehen Erwartungen, dass dies bei anderen ähnlichen Treffen wiederum geschieht. In diesem Zusammenhang wird manchmal von einem mutmaßlichen Heilungscharisma gesprochen.
Es stellt sich die Frage, wie solche Versammlungen, bei denen um Heilung gebetet wird, in liturgischer Hinsicht richtig einzuordnen sind, und vor allem, welche Aufgabe die kirchliche Autorität hat, der es zukommt, über die rechte Ordnung der liturgischen Feiern zu wachen und dafür angemessene Normen zu erlassen.
Es schien deshalb angebracht, gemäß Canon 34 des Codex des kanonischen Rechtes eine Instruktion zu veröffentlichen, die vor allem den Ortsordinarien helfen soll, die Gläubigen in dieser Frage besser zu leiten, indem sie fördern, was gut ist, und korrigieren, was vermieden werden soll.
Um die disziplinären Bestimmungen richtig einzuordnen und zu verstehen, war ein fundierter lehrmäßiger Rahmen notwendig. Deshalb werden die genannten Bestimmungen durch einen lehrmäßigen Teil über die Heilungsgnaden und die Gebete um diese Gnaden eingeleitet.
I. LEHRMÄSSIGE ASPEKTE
1. Krankheit und Heilung: ihr Sinn und Wert in der Heilsökonomie
„Der Mensch ist zur Freude berufen, erfährt aber täglich auf vielfältige Weise Leid und Schmerz“. (1) – Wenn der Herr die Erlösung verheißt, spricht er deshalb von der Freude des Herzens über die Befreiung von den Leiden (vgl. Jes 30,29; 35,10; Bar 4,29). Er ist es, „der aus allem Übel erlöst“ (Weish 16,8). Unter den Leiden sind jene, die mit der Krankheit verbunden sind, stets in der Menschheitsgeschichte gegenwärtig; der Mensch trägt in sich die tiefe Sehnsucht, von ihnen und von allem Übel befreit zu werden.
Im Alten Testament erlebt das Volk Israel, „dass die Krankheit auf geheimnisvolle Weise mit der Sünde und dem Bösen zusammenhängt“. (2) Unter den Strafen, die Gott dem untreu gewordenen Volk androht, nehmen die Krankheiten einen weiten Raum ein (vgl. Dtn 28,21-22.27- 29.35). Der Kranke, der von Gott die Heilung erfleht, bekennt, dass er mit Recht wegen seiner Sünden gestraft wurde (vgl. Ps 38; 41; 107,17-21).
Die Krankheit trifft aber auch die Gerechten und der Mensch fragt sich, warum dies so ist. Im Buch Ijob wird diese Frage immer wieder gestellt. „Wenn es auch wahr ist, dass Leiden einen Sinn als Strafe hat, wann immer es an Schuld gebunden ist, so ist es doch nicht wahr, dass jedes Leiden Folge von Schuld sei und den Charakter von Strafe habe. Die Gestalt des gerechten Ijob ist dafür ein besonderer Beweis im Alten Testament. … Und wenn der Herr zustimmt, dass Ijob durch Leiden geprüft wird, so tut er das, um dessen Gerechtigkeit zu beweisen. Das Leiden hat hier den Charakter einer Prüfung“.
Obwohl die Krankheit also eine positive Kehrseite haben kann, insofern sie die Treue des Gerechten unter Beweis stellt oder ein Mittel ist, um die durch die Sünde verletzte Gerechtigkeit wiederherzustellen oder den Sünder zur Besinnung und zur Umkehr zu führen, bleibt sie doch ein Übel. Deshalb kündet der Prophet kommende Zeiten an, in denen es keine Krankheiten und Leiden mehr geben und der Lebensfaden nicht mehr vom Tod abgeschnitten wird (vgl. Jes 35,5-6; 65,19-20).
Im Neuen Testament findet die Frage, warum die Krankheit auch die Gerechten trifft, ihre volle Antwort. Während seiner öffentlichen Tätigkeit begegnet Jesus den Kranken immer wieder. Viele heilt er auf wunderbare Weise. Die Heilungen charakterisieren geradezu seine Tätigkeit: „Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden“ (Mt 9,35; vgl. 4,23).
Die Heilungen sind Zeichen seiner messianischen Sendung (vgl. Lk 7,20-23). Sie offenbaren den Sieg des Reiches Gottes über jede Art von Übel und werden Symbol für die Wiederherstellung des ganzen Menschen an Leib und Seele. Sie dienen als Beweis, dass Jesus die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben (vgl. Mk 2,1-12), und sind Zeichen der Heilsgüter, wie die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda (vgl. Joh 5,2-9.19-21) oder des blind Geborenen (vgl. Joh 9).
Auch die erste Evangelisierung war nach den Zeugnissen des Neuen Testamentes von zahlreichen wunderbaren Heilungen begleitet, die die Macht der Botschaft des Evangeliums bekräftigten. Die ersten christlichen Gemeinschaften konnten sehen, wie sich die Verheißung des auferstandenen Herrn in ihrer Mitte erfüllte: „Und durch die, die zum Glauben gekommen sind, werden folgende Zeichen geschehen: … die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden“ (Mk 16,17-18).
Die Predigt des Philippus in Samaria ging einher mit wunderbaren Heilungen: „Philippus aber kam in die Hauptstadt Samariens hinab und verkündigte dort Christus. Und die Menge achtete einmütig auf die Worte des Philippus; sie hörten zu und sahen die Wunder, die er tat. Denn aus vielen Besessenen fuhren unter lautem Geschrei die unreinen Geister aus; auch viele Lahme und Krüppel wurden geheilt“ (Apg 8,5-7).
Für den heiligen Paulus sind die Zeichen und Wunder, die in der Kraft des Geistes gewirkt werden, ein Kennzeichen der Verkündigung seines Evangeliums: „Denn ich wage nur von dem zu reden, was Christus, um die Heiden zum Gehorsam zu führen, durch mich in Wort und Tat bewirkt hat, in der Kraft von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes Gottes“ (Röm 15,18- 19; vgl. 1 Thess 1,5; 1 Kor 2,4-5).
Man darf annehmen, dass es sich bei diesen Zeichen und Wundern, welche die göttliche Macht offenbarten und die Verkündigung unterstützten, zum Großteil um außerordentliche Heilungen handelte. Es waren Wunder, die nicht ausschließlich an die Person des Apostels gebunden waren, sondern sich auch durch die Gläubigen ereigneten: „Warum gibt euch denn Gott den Geist und bewirkt Wundertaten unter euch? Weil ihr das Gesetz befolgt oder weil ihr die Botschaft des Glaubens angenommen habt?“ (Gal 3,5).
Der messianische Sieg über die Krankheit wie über andere menschliche Leiden wird nicht nur Wirklichkeit in ihrer Beseitigung durch außerorden tliche Heilungen, sondern auch im freiwilligen und unschuldigen Leiden Christi, der durch seine Passion jedem Menschen die Möglichkeit gibt, sich mit ihm zu vereinigen. „Schließlich hat ja Christus selbst, der ohne Sünde ist, in Erfüllung der Schriftworte beim Propheten Jesaja (vgl. Jes 53,4f.) in seiner Passion alle erdenklichen Wunden auf sich genommen und alle Schmerzen der Menschen geteilt“.(4)
Noch mehr: „Im Kreuz Christi hat sich nicht nur die Erlösung durch das Leiden erfüllt, sondern das menschliche Leiden selbst ist dabei zugleich erlöst worden. … Indem er die Erlösung durch das Leiden bewirkte, hat Christus gleichzeitig das menschliche Leiden auf die Ebene der Erlösung gehoben. Darum kann auch jeder Mensch durch sein Leiden am erlösenden Leiden Christi teilhaben“.(5)
Die Kirche nimmt sich der kranken Menschen in liebevoller Sorge an. Sie würdigt aber auch die Sendung der Kranken, „ihre menschliche und christliche Berufung zu leben und auf neue, noch wertvollere Weise am Wachstum des Reiches teilzunehmen. Sie müssen sich die Worte des Apostels Paulus zum Programm machen, Worte, die Licht schenken, um die gnadenhafte Bedeutung ihrer Situation zu erkennen: ‚Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt? (Kol 1,24).
Diese Entdeckung erfüllt den Apostel mit Freude: ‚Jetzt freue ich mich der Leiden, die ich für euch ertrage? (Kol 1,24)“.(6) – Diese österliche Freude ist eine Frucht des Heiligen Geistes. Wie der heilige Paulus „können viele Kranke ‚trotz der Bedrängnis? zu Trägern der Freude, ‚die der Heilige Geist gibt? (1 Thess 1,6), und zu Zeugen der Auferstehung Christi werden“.(7)
2. Die Sehnsucht nach Heilung und das Gebet um Heilung
Unter der Voraussetzung, den Willen Gottes anzunehmen, ist die Sehnsucht des Kranken nach Heilung gut und zutiefst menschlich, vor allem wenn sie sich im vertrauensvollen Gebet zu Gott ausdrückt. Jesus Sirach ruft dazu auf: „Mein Sohn, bei Krankheit säume nicht, bete zu Gott; denn er macht gesund“ (Sir 38,9). Verschiedene Psalmen sind Bittgebete um Heilung (vgl. Ps 6; 38; 41; 88).
Während der öffentlichen Tätigkeit Jesu wenden sich viele Kranke an ihn – sei es direkt oder durch ihre Freunde oder Verwandten – und bitten um die Wiederherstellung der Gesundheit. Der Herr nimmt diese Bitten an; die Evangelien enthalten keinen einzigen Hinweis, dass er solche Bitten getadelt hätte. Die einzige Klage des Herrn betrifft den gelegentlichen Mangel an Glauben: „Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt“ (Mk 9,23; vgl. Mk 6,5-6; Joh 4,48).
Das Gebet der Gläubigen, die um die eigene Heilung oder die Heilung anderer bitten, ist lobenswert. Auch die Kirche bittet den Herrn in der Liturgie um die Gesundheit der Kranken. Sie hat vor allem ein Sakrament, das „ganz besonders dazu bestimmt ist, die durch Krankheit Geprüften zu stärken: die Krankensalbung“.(8)
Die Kirche pflegt dieses Sakrament „durch die Salbung und das Gebet der Priester zu feiern. In diesem Sakrament vertraut sie die Kranken dem Herrn in seinem Leiden und seiner Verherrlichung an, dass er sie aufrichte und rette“.(9)
Unmittelbar vorher betet die Kirche bei der Weihe des Krankenöls: „Durch deinen Segen werde das geweihte Öl für alle, die wir damit salben, ein heiliges Zeichen deines Erbarmens, das Krankheit, Schmerz und Bedrängnis vertreibt, heilsam für den Leib, für Seele und Geist“.(10) Auch in den Gebetsformula ren nach der Salbung wird die Heilung des Kranken erfleht.(11)
Weil das Sakrament Unterpfand und Verheißung des zukünftigen Reiches ist, ist die Heilung auch Ankündigung der Auferstehung: „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen“ (Offb 21,4). Zudem enthält das Missale Romanum ein Messformular für die Kranken; dabei wird um geistliche Gnaden und auch um die Heilung der Kranken gebetet.(12)
Im Benediktionale des Rituale Romanum gibt es einen Ordo benedictionis infirmorum, der verschiedene euchologische Texte beinhaltet, in denen um Heilung gebetet wird: im zweiten Formular der Preces,(13) in den vier Orationes benedictionis pro adultis,(14) in den beiden Orationes benedictionis pro pueris,(15) im Gebet des Ritus brevior. (16)
Selbstverständlich schließt das Gebet den Gebrauch sinnvoller natürlicher Mittel zur Bewahrung und Wiedererlangung der Gesundheit nicht aus, sondern ermutigt vielmehr dazu, so wie es die Kinder der Kirche auch antreibt, sich um die Kranken zu sorgen und ihnen im Bemühen, über die Krankheit zu siegen, Hilfe an Leib und Geist zu gewähren.
Es liegt nämlich „durchaus im Plan der göttlichen Vorsehung, dass der Mensch gegen jede Art von Krankheit entschieden ankämpft und sich gewissenhaft mit aller Sorgfalt um das hohe Gut der Gesundheit bemüht “. (17)
3. Das „Heilungscharisma“ im Neuen Testament
Nicht nur die wunderbaren Heilungen bekräftigen die Macht der Verkündigung des Evangeliums in der apostolischen Zeit. Das Neue Testament berichtet auch davon, dass den Aposteln und anderen ersten Verkündern des Evangeliums von Jesus eine echte Vollmacht zur Krankenheilung übertragen wurde.
Nach den Berichten von Matthäus und Lukas gibt der Herr den Zwölf bei ihrer ersten Aussendung „die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen“ (Mt 10,1; vgl. Lk 9,1); und er trägt ihnen auf: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“ (Mt 10,8).
Auch bei der Aussendung der zweiundsiebzig Jünger gibt der Herr den Auftrag: Diese Vollmacht wird ihnen im Zusammenhang mit ihrem missionarischen Auftrag verliehen, also nicht zu ihrer eigenen Ehre, sondern zur Bekräftigung ihrer Sendung.
Die Apostelgeschichte berichtet allgemein von den Wundern, die sich ereigneten: „Durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen“ (Apg 2,43; vgl. 5,12). Es waren Wunder und Zeichen, also außerordentliche Taten, die die Wahrheit und die Kraft der apostolischen Sendung offenbarten.
Neben diesen kurzen allgemeinen Hinweisen ist in der Apostelgeschichte vor allem von den wunderbaren Heilungen die Rede, die durch einzelne Verkünder des Evangeliums gewirkt wurden: durch Stephanus (vgl. Apg 6,8), Philippus und vor allem durch Petrus (vgl. Apg 3,1-10; 5,15; 9,33-34.40-41) und Paulus (vgl. Apg 14,3.8-10; 15,12; 19,11-12; 20,9-10; 28,8-9).
Wie bereits erwähnt, erweitern das Ende des Markusevangeliums wie auch der Galaterbrief den Horizont und beschränken die wunderbaren Heilungen nicht auf die Tätigkeit der Apostel und einige Verkünder des Evangeliums, denen eine herausragende Bedeutung bei der ersten Missionierung zukommt. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Hinweise auf die „Heilungscharismen“ besonders wichtig. Die Bedeutung des Wortes Charisma ist an sich sehr weit; ein Charisma ist eine „frei geschenkte Gabe“, im genannten Fall geht es um „Gaben, Krankheiten zu heilen“.
Diese Gnadengaben werden einem einzelnen zugeteilt (vgl. 1 Kor 12,9), sie werden also nicht verstanden als Heilungen, die ein jeder der Geheilten für sich selbst erlangt hat, sondern als eine Gabe, die einer Person gegeben ist, um Heilungsgnaden für andere zu erwirken. Diese Gabe wird verliehen in dem „einen Geist“, wobei nicht näher bestimmt wird, wie diese Person die Heilungen erwirkt. Man kann davon ausgehen, dass dies durch das Gebet geschieht, vielleicht begleitet durch eine symbolische Geste.
Im Jakobusbrief findet sich ein Hinweis auf eine Handlung der Kirche durch die Ältesten, bei der es um die – auch körperliche – Heilung der Kranken geht. Es handelt sich dabei aber nicht um wunderbare Heilungen, sondern um etwas anderes, das von den „Heilungscharismen“ nach 1 Kor 12,9 zu unterscheiden ist.
„Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben“ (Jak 5,14-15).
Es geht hier um eine sakramentale Handlung, um die Salbung des Kranken mit Öl und das Gebet über ihn, also nicht nur „für ihn“, so als ob es nichts anderes als ein Gebet um Fürsprache und Hilfe wäre; es handelt sich vielmehr um eine wirkmächtige Handlung über den Kranken.(18)
Die Worte „retten“ und „aufrichten“ zeigen, dass es bei dieser Handlung nicht nur und nicht vorrangig um die körperliche Heilung geht, obwohl sie mit eingeschlossen ist. Der erste Ausdruck bezieht sich im Jakobusbrief gewöhnlich auf das geistliche Heil (vgl. 1,21; 2,14; 4,12; 5,20), wird aber im Neuen Testament auch im Sinn von „heilen“ verwendet (vgl. Mt 9,21; Mk 5,28.34; 6,56; 10,52; Lk 8,48). Das zweite Wort hat manchmal die Bedeutung von „auferstehen“ (vgl. Mt 10,8; 11,5; 14,2), meint aber auch das „Aufrichten“ einer Person, die durch eine Krankheit niedergedrückt ist, indem sie wunderbar geheilt wird (vgl. Mt 9,5; Mk 1,31; 9,27; Apg 3,7).
4. Die Gebete um Heilung durch Gott in der Tradition
Für die Kirchenväter ist es selbstverständlich, dass die Gläubigen Gott nicht nur um die Gesundheit der Seele, sondern auch des Leibes bitten. Der heilige Augustinus schreibt über die Güter des Lebens, der Gesundheit und des körperlichen Wohlergehens: „Es ist notwendig zu beten, dass man sie bewahrt, wenn man sie hat, und dass sie einem geschenkt werden, wenn man sie nicht hat“.(19) Derselbe Kirchenvater hat uns das Zeugnis der Heilung eines Freundes hinterlassen, die durch die Gebete eines Bischofs, eines Priesters und einiger Diakone in seinem Haus erwirkt wurde.(20)
Dieselbe Ausrichtung ist in den liturgischen Riten des Westens und des Ostens zu finden. Im Messbuch heißt es in einem Schlussgebet: „Dieses Sakrament stärke uns an Leib und Seele“.(21) In der Karfreitagsliturgie erfolgt die Einladung, den allmächtigen Gott zu bitten, „er nehme die Krankheiten hinweg“ und „gebe den Kranken die Gesundheit“.(22) Zu den bedeutsamsten Texten zählt die Weihe des Krankenöls. Hier wird Gott angerufen, dass das Öl durch den Segen geweihtes Öl werde, „das Krankheit, Schmerz und Bedrängnis vertreibt, heilsam für den Leib, für Seele und Geist“.(23)
In den östlichen Riten der Krankensalbung sind die Ausdrücke im Wesentlichen nicht anders. Es sei lediglich an einige wichtige Formeln erinnert. Im byzantinischen Ritus wird während der Salbung des Kranken das Gebet gesprochen:
„Heiliger Vater, Arzt von Seele und Leib, du hast deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus gesandt, um jede Krankheit zu heilen und uns vom Tod zu erretten, durch die Gnade deines Christus heile auch diesen deinen Knecht vom Gebrechen des Leibes und der Seele, das ihn quält“.(24)
Im koptischen Ritus wird der Herr angerufen, das Öl zu weihen, damit alle, die damit gesalbt werden, die Gesundheit der Seele und des Leibes erlangen. Während der Salbung des Kranken verweist der Priester auf Jesus Christus, der in die Welt gesandt wurde, „um alle Krankheiten zu heilen und vom Tod zu erretten“, und bittet Gott, „den Kranken von den Gebrechen des Leibes aufzurichten und ihm den rechten Weg zu weisen“.(25)
5. Das „Heilungscharisma“ im Kontext der Gegenwart
Im Laufe der Kirchengeschichte fehlt es nicht an Heiligen, die außerorden tliche Heilungen vollbrachten. Es gab solche Heilungen also nicht nur in der apostolischen Zeit. Das sogenannte „Heilungscharisma“, zu dem hier einige lehrmäßige Klarstellungen erfolgen, ist jedoch nicht unter diese Phänomene einzuordnen.
Es geht vielmehr um die Frage der besonderen Gebetstreffen, die organisiert werden, um wunderbare Heilungen unter den kranken Teilnehmern zu erlangen, oder um Heilungsgebete nach der heiligen Kommunion mit demselben Ziel.
Es gibt in der Kirchengeschichte eine Fülle von Zeugnissen über Heilungen, die mit Gebetsstätten (Heiligtümer, Orte in der Nähe von Reliquien der Märtyrer oder anderer Heiliger usw.) verknüpft sind. Auch aus diesem Grund wurden im Altertum und im Mittelalter die Wallfahrten zu einigen Heiligtümern bekannt und beliebt, etwa jene zum heiligen Martin von Tours oder zum heiligen Jakobus in Santiago de Compostela und vielen anderen.
Dasselbe geschieht auch in der Gegenwart, zum Beispiel seit mehr als einem Jahrhundert in Lourdes. Solche Heilungen implizieren kein „Heilungscharisma“, denn sie werden nicht von einer mit diesem Charisma ausgestatteten Person gewirkt. Aber es ist notwendig, bei der lehrmäßigen Beurteilung der genannten Gebetstreffen diesem Phänomen Rechnung zu tragen.
Bei den Gebetstreffen mit dem Ziel, Heilungen zu erlangen – einem Ziel, das in der Planung solcher Treffen vorrangig ist oder darauf wenigstens einen Einfluss hat – kann man unterscheiden zwischen Versammlungen, bei denen ein wahres oder mutmaßliches „Heilungscharisma“ im Spiel ist, und anderen Treffen, die nicht mit einem solchen Charisma in Beziehung gebracht werden.
Bei den erstgenannten Zusammenkünften ist für die Wirksamkeit des Gebetes das Eingreifen einer oder mehrerer Personen oder einer qualifizierten Personengruppe notwendig, wie zum Beispiel der Leiter der Gruppe, die die Versammlungen organisieren.
Wenn keine Verbindung mit dem „Heilungscharisma“ gegeben ist, sind die Feiern, die in den liturgischen Büchern vorgesehen sind, selbstverständlich erlaubt und oft auch angebracht, wie etwa die Messe für die Kranken. Werden die liturgischen Normen nicht eingehalten, sind solche Feiern nicht gestattet.
In Heiligtümern gibt es häufig auch andere Feiern, die an sich nicht direkt darauf ausgerichtet sind, von Gott Heilungsgnaden zu erflehen, bei denen aber die Erlangung von Heilungen ein wichtiges Element in der Absicht der Organisatoren und der Teilnehmer darstellt.
Aus diesem Grund hält man liturgische Feiern, zum Beispiel die Aussetzung des Allerheiligsten mit eucharistischem Segen, und nicht-liturgische Feiern, die der von der Kirche geförderten Volksfrömmigkeit entsprechen, wie etwa das feierliche Rosenkranzgebet. Auch solche Feiern sind erlaubt, wenn dabei ihr authentischer Sinn nicht entstellt wird.
Man darf etwa bei der Aussetzung der heiligen Eucharistie das Verlangen, die Heilung von Kranken zu erlangen, nicht so in den Vordergrund rücken, dass das eigentliche Ziel der Aussetzung verloren geht, nämlich „die Gläubigen zum lebendigen Bewusstsein von der wunderbaren Gegenwart Christi zu führen und sie einzuladen, sich mit ihm zu vereinigen. Diese Vereinigung erlangt in der sakramentalen Kommunion ihren Höhepunkt“. (26)
Das „Heilungscharisma“ kann nicht einfach einer bestimmten Kategorie von Gläubigen zugeschrieben werden. Es ist offensichtlich, dass der heilige Paulus in seinen Hinweisen auf die verschiedenen Charismen in 1 Kor 12 die Gabe der „Heilungscharismen“ nicht einer besonderen Gruppe – den Aposteln, den Propheten, den Lehrern, denen, die das Amt der Leitung innehaben, oder anderen – zuordnet.
Die Zuteilung der Charismen erfolgt nach einer anderen Logik: „Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will“ (1 Kor 12,11)
Folglich wäre es völlig willkürlich, wenn in den Gebetstreffen, bei denen Heilungen erfleht werden, irgendeiner Gruppe von Teilnehmern, etwa den Leitern der Gruppe, ein „Heilungscharisma“ zugeschrieben würde; man muss sich vielmehr dem ganz und gar freien Willen des Heiligen Geistes anvertrauen, der einigen ein besonderes Heilungscharisma schenkt, um die Macht der Gnade des Auferstandenen zu offenbaren.
Doch nicht einmal die eindringlichsten Gebete erwirken die Heilung aller Krankheiten. So muss der heilige Paulus vom Herrn lernen: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“ .
Zudem können die Leiden, die zu tragen sind, einen tiefen Sinn haben, gemäß dem Wort: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“
II. DISZIPLINÄRE BESTIMMUNGEN
Art. 1 – Es ist jedem Gläubigen gestattet, in Gebeten Gott um Heilung zu bitten. Wenn solche Gebete in einer Kirche oder an einem anderen heiligen Ort stattfinden, ist es angemessen, dass ein geweihter Amtsträger sie leitet.
Art. 2 – Heilungsgebete gelten als liturgische Gebete, wenn sie in den liturgischen Büchern enthalten sind, die von der zuständigen kirchlichen Autorität approbiert sind; andernfalls handelt es sich um nicht-liturgische Gebete.
Art. 3 – § 1. Liturgische Heilungsgebete werden nach dem vorgeschriebenen Ritus und mit den liturgischen Gewändern gefeiert, die im Ordo benedictionis infirmorum des Rituale Romanum angegeben sind.
§ 2. Gemäß den Praenotanda (28) desselben Rituale Romanum können die Bischofskonferenzen im Ritus der Krankensegnungen nach vorausgehender Prüfung durch den Heiligen Stuhl die Anpassungen vornehmen, die sie für pastoral angemessen oder eventuell notwendig halten.
Art. 4 – § 1. Der Diözesanbischof (29) hat das Recht, für die eigene Teilkirche gemäß can. 34 CIC Normen für liturgische Heilungsgottesdienste zu erlassen.
§ 2. Jene, die für die Vorbereitung solcher liturgischer Feiern zuständig sind, haben sich bei ihrer Durchführung an die genannten Normen zu halten.
§ 3. Die Erlaubnis für diese Gottesdienste muss ausdrücklich gegeben sein, auch wenn Bischöfe oder Kardinäle sie organisieren oder daran teilnehmen. Wenn ein gerechter und entsprechender Grund vorliegt, hat der Diözesanbischof das Recht, einem anderen Bischof gegenüber ein Verbot auszusprechen.
Art. 5 – § 1. Nicht-liturgische Heilungsgebete, die auf Grund ihrer Eigenart von liturgischen Feiern unterschieden werden müssen, sind Zusammenkünfte zum Gebet und zur Lesung des Wortes Gottes, über die der Ortsordinarius gemäß can. 839 § 2 CIC wacht.
§ 2. Es ist sorgfältig zu vermeiden, diese freien, nicht liturgischen Gebete mit liturgischen Gottesdiensten im eigentlichen Sinn zu verwechseln.
§ 3. Es ist darüber hinaus notwendig, darauf zu achten, dass beim Ablauf solcher Feiern – vor allem von Seiten jener, die sie leiten – nicht auf Formen zurückgegriffen wird, die dem Hysterischen, Künstlichen, Theatralischen oder Sensationellen Raum geben.
Art. 6 – Über den Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel, vor allem des Fernsehens, während der liturgischen oder nicht liturgischen Heilungsgebete wacht der Diözesanbischof gemäß can. 823 CIC und den Richtlinien, die von der Kongregation für die Glaubenslehre in der Instruktion vom 30. März 1992 (30) erlassen wurden.
Art. 7 – § 1. Unter Beibehaltung der oben angeführten Bestimmungen von Art. 3 und mit Ausnahme der Gottesdienste für die Kranken, die in den liturgischen Büchern vorgesehen sind, dürfen in die Feier der heiligen Eucharistie, der Sakramente und des Stundengebetes keine liturgischen oder nicht-liturgischen Heilungsgebete eingefügt werden.
§ 2. Bei den in § 1 erwähnten Feiern besteht die Möglichkeit, in den Fürbitten besondere Gebetsintentionen für die Heilung von Kranken einzufügen, wenn dies vorgesehen ist.
Art. 8 – § 1. Der Dienst des Exorzismus muss gemäß can. 1172 CIC, dem Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre vom 29. September 1985 (31) und dem Rituale Romanum (32) unter Weisung des Diözesanbischofs ausgeübt werden.
§ 2. Die im Rituale Romanum enthaltenen Exorzismusgebete müssen von den liturgischen und nicht liturgischen Heilungsgottesdiensten unterschieden bleiben.
§ 3. Es ist streng verboten, solche Exorzismusgebete in der Feier der heiligen Messe, der Sakramente oder des Stundengebetes einzufügen.
Art. 9 – Jene, die liturgische oder nicht liturgische Heilungsgottesdienste leiten, müssen sich bemühen, in der Versammlung ein Klima echter Andacht zu bewahren, und die notwendige Klugheit walten lassen, wenn unter den Anwesenden Heilungen erfolgen; nach Beendigung der Feier sollen sie etwaige Zeugnisse mit Einfachheit und Sorgfalt sammeln und der zuständigen kirchlichen Autorität vorlegen.
Art. 10 – Der Diözesanbischof hat pflichtgemäß einzugreifen, wenn bei liturgischen oder nicht liturgischen Heilungsgottesdiensten Missbräuche vorkommen und ein offensichtliches Ärgernis für die Gemeinschaft der Gläubigen vorliegt oder wenn schwerwiegend gegen die liturgischen oder disziplinären Normen verstoßen wird.
Papst Johannes Paul II. hat in einer dem unterzeichneten Präfekten gewährten Audienz die vorliegende Instruktion, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden war, gebilligt und ihre Veröffentlichung angeordnet.
Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 14. September 2000, dem Fest Kreuzerhöhung.
+ Joseph Kardinal Ratzinger,
Präfekt
+ Tarcisio Bertone S.D.B.,
Erzbischof em. von Vercelli,
Sekretär
ANMERKUNGEN:
(1) JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Christifideles laici, Nr. 53: AAS 81 (1989), 498.
(2) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1502.
(3) JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, Nr. 11: AAS 76 (1984) 212.
(4) Die Feier der Krankensakramente. Die Krankensalbung und die Ordnung der
Krankenpastoral in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes, Zweite Auflage, Freiburg 1994, Praenotanda, Nr. 2; vgl. Rituale Romanum, Ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum, Auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis, MCMLXXII, n. 2.
(5) JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, Nr. 19: AAS 76 (1984) 225.
(6) JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Christifideles laici, Nr. 53: AAS 81 (1989), 499.
(7) Ebd., Nr. 53: AAS 81 (1989), 499.
(8) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1511.
(9) Rituale Romanum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, n. 5.
(10) Rituale Romanum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, n. 75.
(11) Vgl. Rituale Romanum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, n. 77.
(12) Vgl. Missale Romanum, Ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum, Auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, Editio typica altera, Typis Polyglottis Vaticanis, MCMLXXV, pp. 838-839.
(13) Vgl. Rituale Romanum, Ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum, Auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatum, De Benedictionibus, Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis, MCMLXXXIV, n. 305.
(14) Vgl. ebd., nn. 306-309.
(15) Vgl. ebd., nn. 315-316.
(16) Vgl. ebd., n. 319.
(17) Rituale Romanum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, n. 3.
(18) Vgl. KONZIL VON TRIENT, sess. XIV, Doctrina de Sacramento Extremae Unctionis, cap. 2: DH 1696.
(19) AUGUSTINUS, Epistulae 130, VI,13 (= PL, 33,499).
(20) Vgl. AUGUSTINUS, De Civitate Dei 22, 8,3 (= PL 41,762- 763).
(21) Die Feier der heiligen Messe, Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes, Freiburg 1976, Schlussgebet am 26. Sonntag im Jahreskreis; vgl. Missale Romanum, p. 563.
(22) Ebd., Große Fürbitten, 10; vgl. Missale Romanum, p. 256.
(23) Die Feier der Krankensakramente, Anhang III; vgl. Rituale Romanum, Ordo Unctionis Infirmorum eorumque Pastoralis Curae, n. 75.
(24) GOAR J., Euchologion sive Rituale Graecorum, Venetiis 1730 (Graz 1960), 338.
(25) DENZINGER H., Ritus Orientalium in administrandis Sacramentis, vv. I-II, Würzburg 1863 (Graz 1961), v. II, 497f.
(26) Kommunionspendung und Eucharistieverehrung außerhalb der Messe, Studienausgabe, Freiburg 1976, Nr. 82; vgl. Rituale Romanum, Ex Decreto Sacrosancti Concilii Vaticani II instauratum, Auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, De Sacra Communione et de Cultu Mysterii Eucharistici Extra Missam, Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis, MCMLXXIII, n. 82.
(27) Vgl. Rituale Romanum, De Benedictionibus, nn. 290-320.
(28) Vgl. ebd., n. 39.
(29) Und jene, die ihm gemäß can. 381 § 2 rechtlich gleichgestellt sind.
(30) Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung der Glaubenslehre, Libreria Editrice Vaticana, Vatikanstadt 1992.
(31) Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Epistula Inde ab aliquot annis, Ordinariis locorum missa: in mentem normae vigentes de exorcismis revocantur: AAS 77 (1985) 1169-1170.
(32) Vgl. Rituale Romanum, Ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum, Auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatum, De Exorcismis et Supplicationibus Quibusdam, Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis, MIM, Praenotanda, nn. 13-19.
„Das katholische Abenteuer“ von Matussek: mutige Streitschrift eines „Querdenkers“
Veröffentlicht: 4. September 2011 Abgelegt unter: BÜCHER / Publikationen, BIBEL bzw. liturgische Lesungen, THEMEN der Zeit Ein Kommentar Buch-Daten: MATTHIAS MATUSSEK Das katholische Abenteuer. Eine Provokation. Erscheinungsdatum: Mai 2011. Spiegel-Buchverlag (Hamburg) und bei DVA (Deutsche Verlagsanstalt, München). 368 Seiten, Preis 19,99 €. ISBN 978-3-421-04514-0 Ausführliche Besprechung des Matussek-Buches von Felizitas KübleDer bekannte Reporter Matthias Matussek, der bis 2008 als Kulturchef des linksliberalen „Spiegel“ tätig war und nach wie vor als Journalist für das Hamburger Nachrichtenmagazin arbeitet, war schon früher für Überraschungen gut.
Mit seiner jüngsten Streitschrift „Das katholische Abenteuer“, die ausdrücklich als „Spiegel-Buch“ erscheint (auf der Titelseite vermerkt), hat er seinem weithin konservativ geprägten publizistischen Wirken zweifellos die Krone aufgesetzt, eine katholische noch dazu, denn der Autor macht kein Geheimnis aus seiner Begeisterung für Glaube, Kirche und Sakramente.
Matussek ist gewiß kein typischer „Spiegel“-Reporter, sondern ein unabhängiger, zeitgeistkritischer Kopf. Das konnte der Fernsehzuschauer auch bei der Talkshow „Lanz“ am 12. Mai 2011 erleben: Es ging dort um Gunter Sachs im besonderen und Selbstmord – gern als „Freitod“ verharmlost – im allgemeinen. Matussek stellte sich quer gegen den Diskussionstrend und erklärte: „Wir dürfen unseren Tod nicht selbst wählen. Gott ist der Herr über Leben und Tod!“ – Aufgrund dieser für Christen an sich selbstverständlichen Aussage wurde er in der Runde scharf attackiert; die katholische Kirche wurde sogar als „kriminelle Vereinigung“ beschimpft.Zurück zu Matusseks mitreißendem und zugleich inhaltsreichem Buch: es ist eine durchaus gelungene Kombination von Kampf- und Bekenntnisschrift, eine anregende und „aufregende“ Mischung aus stichhaltigen Argumenten, persönlichen Erinne-rungen, Reportagen aus aller Welt und unmißverständlichen Kommentaren zum Zeitgeschehen.
Doch der nonkonforme Kulturjournalist beschränkt sich nicht auf scharfsinnige Zeitgeistkritik, er bleibt auch nicht bei prokirchlicher Apologetik stehen, sondern stellt das Frohmachende und Sinnerfüllende des katholischen Glaubens heraus. Vor allem Eucharistie und Beichte rückt er in ein helles Licht und erwähnt offenherzig seine persönliche Glaubenspraxis inklusive regelmäßigem Sonntagskirchgang und Beichte – heute unter Katholiken längst nicht mehr selbstverständlich.
Matusseks Buch ist persönlich, gerät aber nicht ins Peinliche; es ist streitbar, verfällt jedoch keiner verbissenen Dauerpolemik; es ist bekenntnisfreudig, ohne aufdringlich zu wirken; es widersteht dem gängigen Zeitgeist, verwendet aber geradezu packend die Sprache unserer Zeit; es greift aktuelle Debatten auf, ohne grundsätzliche Themen zu vernachlässigen.
Diese flotte „Kampfschrift“ ist natürlich nicht vornehmlich für Theologen verfaßt, weder vom Stoff noch vom Stil her. Das Buch eignet sich – etwa hinsichtlich intellektuellem Niveau, Themenwahl und Sprachschatz her – vom bodenständigen bis hin zum bildungsbürgerlichen Personenkreis (quasi vom Handwerker bis zum Studienrat), wobei es auch für aufgeschlossene Jugendliche ab 15 oder 16 Jahren und für Studenten gut lesbar ist, zumal Matusseks Sprache sehr fesselnd, anschaulich, „reporterhaft“ und kraftvoll wirkt, also bei jungen Leuten den richtigen Ton findet und zugleich seriös bleibt, ohne sich einem „coolen“ Jugendjargon anzubiedern.
Vielleicht war es gerade seine jahrzehntelange Reportertätigkeit, die Matussek – nach zwischenzeitlichen Umwegen und Abwegen in den Marxismus und die 68er Ideologie – geholfen hat, wieder zum Glauben seiner Kindheit und Schülerzeit zurückzukehren, zum katholischen Glauben in seiner Klarheit und Fülle – und in seiner Katholizität, seiner universalen Geltung und Ausbreitung. Jedenfalls schreibt er in seinem Vorwort: „Als Reporter war ich immer schon fasziniert vom religiösen Urbedürfnis der Menschen in allen Winkeln der Erde.“ (S. 10) – Derartige Erfahrungen eignen sich freilich kaum zur Aufrechterhaltung eines materialistisch-marxistischen Weltbildes.
Außerdem berichtet der Autor in seinem Editorial, daß er sich als Schriftsteller zunehmend zeitkritisch mit verhängnisvollen Zerfallserscheinungen wesentlicher menschlicher Bindungen befaßte: 1997 geißelte er in seiner Streitschrift „Die vaterlose Gesellschaft“ eine zunehmende Verdrängung und Diffamierung der Väterlichkeit und Männlichkeit in Medien und Gesellschaft. Diese feminismuskritische Publikation ist ein Hinweis darauf, daß der Verfasser – obgleich schon damals „Spiegel“-Redakteur – nicht bereit war, sich dem üblichen „Mainstream“ feige anzupassen.
Das zeigte sich auch in seinem 1998 erschienenen Porträt über Erzbischof Johannes Dyba, das unter dem Titel „Die Axt Gottes“ im „Spiegel“ veröffentlicht wurde und reichlich aus dem Rahmen des dort sonst Üblichen fiel, war der Text doch eine seitenlange Würdigung, ja fast eine Huldigung an den Fuldaer Oberhirten. Seitdem galt Matussek in glaubenskonservativen Kreisen (auch bei Evangelikalen) als eine Art journalistischer „Geheimtip“.
Der damalige aufsehenerregende Artikel ist nun auch in seinem Buch veröffentlicht (S.192 ff). Im jetzigen Vorwort dazu schreibt der Autor über Erzbischof Dyba: „Ich glaube, man merkt dem folgenden Text an, wie sehr er mich beeindruckt hat und welche Qualitäten es sind, die ich an manchen unserer Bischöfe heute vermisse.“ (191)
Danach folgte sein patriotischen Buch „Wir Deutschen“ mit dem halb-ironischen Untertitel: „Warum die anderen uns gern haben können“: In diesem Werk setzt sich Matussek für ein erneuertes Verständnis von Nation und Vaterland ein, für ein selbstbewußtes Ja zum eigenen Land. Auch diese nonkonforme Schrift des katholischen „Querdenkers“ paßte nicht in unsere weitgehend anti-national geprägte Politik und „veröffentlichte Meinung“, in der patriotische Standpunkte nicht selten mit der „braunen Keule“ attackiert werden.
Nach dem Ja zur Familie, zur Bedeutung des Vaters und der Väterlichkeit, nach dem Ja zu Nation und Vaterland folgte im Mai 2011 also das dritte „Ja-Buch“: ein glasklares, bekenntnisfrohes Ja zum katholischen Glauben. Auch dieses „Unterfangen“ ist zweifellos ein gezielter Stich ins gesellschaftliche Wespennest, so daß der Untertitel des Buches („Eine Provokation“) durchaus dem Inhalt entspricht. Das relativ dickleibige 368-Seiten-Werk erweist sich als scharfsinnigen Rundumschlag gegen den Zeitgeist, als geistreicher, oft auch humorvoller Angriff auf den „Mainstream“ hierzulande – insgesamt ein großer Wurf, wenngleich mit kleinen Schwächen, wie sie wohl in kaum einem Buch fehlen.
„Talent zur Transzendenz verkümmert“
Zurück zu Matusseks Editorial, in dem er sein dreifaches, „buchgewordenes“ Ja erläutert: zur Familie, zur Nation und zum Glauben: „Warum Glaube? Weil mich die Bekenntnisarmut unseres Betriebs anödet, diese Dauerironie, in der jeder Standpunkt zur Tänzelei wird und jeder Gläubige zur Lachnummer, der aus der Zeit gefallen ist.“ (S.11)
Der im westfälischen Münster geborene Verfasser spricht mehrfach positiv über sein kernkatholisches Elternhaus: „Ich beneide meine Eltern um die Unbeirrbarkeit ihres Gottvertrauens, die sie hatten und die mir leider manchmal fehlt. Mein Glaube ist momenthafter, nervöser. Doch letztlich ist er eine Notwendigkeit für mich. Er macht Sinn. Nicht zuletzt bedeutet er Trost und Hoffnung.“(11)
Matussek weiß, daß dieser geistige Sinn für die übernatürliche Welt immer mehr verschwindet: „In unseren unglücklich aufgeklärten Breiten dagegen ist das Talent zur Transzendenz verkümmert, nahezu erloschen. Nur noch 13% der Katholiken gehen in die Kirche.“ (12)
Nach seinem Vorwort legt der Autor gleich „heiß“ los, wie der Abschnitt „Training mit dem Teufel“ vermuten läßt, dessen erster Abschnitt mit den Worten beginnt:
„Ein Tod ist zu beklagen. Die Verblichene starb nach langem Siechtum, unbemerkt, in einem vergessenen Winkel der Gesellschaft. Sie hatte ihre großen Tage. Sie hat glühende Reden beflügelt, sie hat Menschen in den Staub gezwungen und um Vergebung murmeln lassen…“ (15) – Einige Sätze weiter erfährt der Leser die Lösung: „Die Rede ist – natürlich – von der Sünde.“
„Ein unheimlicher Unschuldswahn“
Matussek stellt realitätsnah fest: „Die Sünde ist aus der öffentlichen Rede verschwunden…Von „Sünde“ spricht keiner mehr…Sie wird nicht mehr ernst genommen. Man könnte sagen: Die Sünde hat ein Imageproblem.“ – Aus Sicht des Kulturjournalisten ist dieses mangelnde Sündenbewußtsein ein echtes Problem: „Mit der Sünde ist ein existentielles Abenteuer verloren gegangen. Ein unheimlicher Unschuldswahn hat sich über unsere überraschungsfreie Gesellschaft gelegt.“ (15)
Dieser „Unschuldswahn“ ist eine Folge der allgemeinen Glaubensverdunstung. Matussek bezeichnet Sünde als „Verletzung einer kosmischen Ur-Ordnung“ (40) und als „Vertrauensbruch“ gegenüber dem Schöpfer:
„Sünde ist Vertrauensbruch. Gott versteht in diesem Punkt keinen Spaß. Der Sünder schaut in einen metaphysischen Abgrund. Allerdings: wo es keinen Gott gibt, gibt es keine Sünde. Oder doch? Heute ist Sünde allenfalls eine Art Verstoß gegen die soziale Straßenverkehrsordnung und – soweit Schuld und Seelenqual und Gewissensbisse mit ihr verknüpft sind – eine Sache für Therapeuten und in jedem Fall verhandelbar.“ (16)
„Einst bedeutete Sünde die Markierung zwischen Gut und Böse. Wer dagegen heute sagt „Ich habe gesündigt“, meint damit Pralinen und Eisbein mit Sauerkraut – und die Hölle, die ihn erwartet, besteht aus Sodbrennen.“ (33)
Doch für den Autor ist eines klar: „Das Sittengesetz funktioniert vor allem über das Sündenbewußtsein, das die Entscheidung zwischen Gut und Böse trifft. Ohne den Gedanken an Gott ist dauerhaftes moralisches Handeln nicht möglich, das wußte schon der Aufklärer Immanuel Kant, dessen tröstender Lieblingspsalm war: ‚Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen.’ “ (18)
Auf den folgenden Seiten befaßt sich Matussek mit den Sieben Wurzelsünden, die er allerdings begrifflich unrichtig als „Todsünden“ bezeichnet, wenngleich Wurzelsünden zweifellos eine häufige Ursache von Todsünden sind. – In diesen „Lasterkatalogen“ finden sich einige treffliche Erkenntnisse, etwa folgende:
„Der universelle Schönheitskult schlägt Kapital aus der todtraurigen Todsünde Eitelkeit in noch nie dagewesenem Maße…Dieser Kampf einer alternden westlichen Gesellschaft ist tragisch und komisch zugleich. Wir setzen keine Kinder mehr in die Welt, sondern wollen die ewige Jugend für uns selber.“ (22)
Wir sexualisieren uns zu Tode
Auch die „Todsünde Wollust“ knöpft sich der Kulturjournalist vor und stellt zunächst fest: „Die Wollust hat sich totgesiegt. Sie hat alle Geheimnisse verloren. Sie hat Staatsmänner zu Deppen gemacht, Karrieren ruiniert, Ehen in Trümmerhaufen verwandelt. Sie hat sogar, man sollte es nicht fassen, Kirchenmänner verführt. Kurz: sie hat die letzten Masken der Lust abgelegt.“ (27)
Matussek legt damit das Fazit nahe: Wir sexualisieren uns zu Tode. Das Maß ist nicht nur voll, sondern übervoll:
„Womit soll der Dämon des Begehrens noch wüten, wenn alle bereits im Swingerclub abhängen und sich dort zu Tode gähnen? – Schon bevor die Hysterisierung um die Sexualität begann, zunächst mit Freud, dann den Ritualen der 68er gegen die sogenannte repressive Sexualmoral, mahnte Schopenhauer zur Gelassenheit: ‚Wozu der Lärm? Wozu das Drängen, Toben, die Angst und die Not? Es handelt sich ja bloß darum, daß jeder Hans seine Grete finde.’ – Kann man die Wollust endgültiger und cooler zur Hölle schicken?“ (29)
Auch mit der Wurzelsünde Trägheit geht Matussek hart ins Gericht, genauer: in eine Therapie nach Art der Mönche: „Sie empfahlen ein Rezept gegen die Todsünde Trägheit. Man soll sie auf einen gegenüberstehenden Stuhl platzieren und mir ihr in einen Dialog treten. Das klingt nach moderner Gestalttherapie.“ (39)
Doch nicht der Therapeut, sondern der Beichtvater befreit von Schuld im Auftrag Christi, das weiß auch der Autor: „Für Katholiken bietet sich der Beichtstuhl als Ort göttlicher Vergebung an. Die Stille, das Holzgitter, das Murmeln des Priesters, der nach einigem Nachfragen – Präzision ist wichtig – sein ‚Ego te absolvo’ spricht. ‚Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen’, sagte Jesus seinen Jüngern. Das alles in der Intimität der Ohrenbeichte, fernab vom Geständnistrubel bei Facebook.“ (40)
Ein weiteres Beispiel dafür, daß der Verfasser lebensfrisch von der heutigen Alltagsrealität ausgeht – und doch die Forderungen des Ewigen ernstnimmt.
„Mich interessiert das Geheimnis.“
Nach dem „Lasterkatalog“ folgt Matusseks eindrucksvolles persönliches Bekenntnis zu seinem katholischen Denken, Fühlen und Glauben (ab S. 43 ff):
„Man wird nach dieser Buß- und Strafpredigt eines unschwer erkennen können:
Ich bin katholisch, und das ist auch gut so. Ich habe mir die Sache nicht ausgesucht. Sie ist mir in mein Gemüt gelegt, von Kindheit an, so sehr, dass sie mir vorkommt wie angeboren…Tief in mir verwurzelt.
Für dieses Bekenntnis den gleichen Beifall zu kassieren wie Berlins Party-Bürgermeister Klaus Wowereit für das seiner sexuellen Orientierung erwarte ich gar nicht – aber ich will ja auch keine Wahlen gewinnen. Katholizismus, ganz besonders in diesen Tagen, ist nicht mehrheitsfähig. Begeben wir Katholiken uns auf den Marktplatz, müssen wir Zickzack rennen, denn es wird aus allen Rohren gefeuert. Doch natürlich bleibe ich katholisch. Geht gar nicht anders. Jetzt erst recht.
Mein Katholizismus ist übrigens nicht demokratisch. Er ist nicht konsensabhängig. Er ist keine Sache von Gremien und Thesenpapieren. Glaubenswahrheiten sind keine Abstimmungssache.“
Das ist zweifellos bekenntnisfreudiger Klartext, wobei der Autor einräumt, daß er zeitweise den Glauben seiner Kindheit verlassen hatte, dann wieder konservativer wurde und nun begeistert katholisch ist: „Ich bin kein Vorzeige-Katholik, aber dennoch bin ich seit neuestem so leidenschaftlich katholisch, wie ich vor vierzig Jahren Marxist war.“
Matthias Matussek scheut auch nicht den Vergleich zum heutigen Protestantismus:
„Die bequemere der christlichen Konfessionen ist derzeit eindeutig die protestantische. Ihre Bekenntnisse tropfen ins gesellschaftliche Gewebe in homöopathischen und jederzeit gut verträglichen Verdünnungen. Sie ist fortschrittlicher Mainstream und ihre Lebenshaltung gutbürgerlich. Ihre Pastoren laufen mit der Zeit, sie heiraten und lassen sich scheiden, sie fahren ab und zu betrunken Auto, nichts, was irgendeinen groß aufregen würde, im Gegenteil, sie werden geliebt dafür, dass sie sind wie alle. Sie verlangen nichts, sondern schreiben Erbauungsliteratur. Hat mich nie interessiert. Mich interessiert der Streit. Mich interessiert das Bekenntnis. Mich interessiert das Geheimnis.“
Diese glasklare Haltung des Hamburger Journalisten kommt nicht von ungefähr; sie wurzelt nicht zuletzt in Kindheitserfahrungen, geprägt von familiärer und religiöser Geborgenheit und Sicherheit:
„Ich wuchs auf mit Fronleichnam und Marienandacht, mit Rosenkranz und Beichte. Die Messen waren lang und auf Lateinisch, und ich war dennoch fasziniert. Wer sagt, dass Kinder alles verstehen müssen, dass nicht auch sie mehr ahnen wollen als wissen? Wer sagt, dass sie so unglaublich interessiert an Bastelarbeiten im Altarraum sind? Ich mochte schon als Kind die Könner, die Frommen, die Anderen.
Wir beteten zu Tisch und vorm Zu-Bett-Gehen. Vor Reisen beteten wir zum heiligen Christophorus und beim Verlust von Schlüsseln oder Portemonnaies zum heiligen Antonius. Eines Tages – im Italienurlaub – verlor mein Vater die Brille im Meer. Wir versammelten uns zum Antonius-Gebet am Strand. Danach ging er wieder in die Wellen, griff in die braune Brühe und hielt die Brille in der Hand. Ein Wunder – und ich war dabei! Meine evangelischen Spielgefährten haben so etwas nie erlebt.
Meine religiöse Kindheit war anregend, abenteuerlich, theaterhaft. Unsere Rollenmodelle waren die Heiligen. Unsere Kindheit war gleichzeitig frommer Hokuspokus und von hoher religiöser Innigkeit. Meine Seele war eine dramatisch beleuchtete barocke Landschaft, die aus Sonne und Wolken bestand – und eben den Heiligen mit ihren abenteuerlichen Lebensläufen, die in ihrem Vorbildcharakter schon Goethe faszinierten. ‚Man möchte doch wohl gut heißen, dass es so viele Heilige gibt’, schrieb er.“
„Zum Altare Gottes will ich treten…“
Für den kleinen Matthias war vor allem der Ministrantendienst eine faszinierende Erfahrung; seine Schilderung fromm-froher Kindheitsjahre verknüpft er mit skeptischem Nachdenken über die Zeit danach, zumal die nachkonziliare Kirchenkrise:
„Messdiener sein – das war mein erster Berufswunsch. Meine älteren Brüder waren Messdiener – da wollte ich hin. Raus aus der Kirchenbank, hinein in den Altarraum, hinauf auf die Altarstufen, dorthin, wo das Allerheiligste ist, das Geheimnis schlechthin. Bis es so weit war, übte ich, damals in den späten fünfziger Jahren. Meine Mutter hatte uns Kutten genäht, in denen spielten wir Messe, mein jüngerer Bruder und ich. Einer der älteren machte den Priester.
Es war die Zeit vor dem Zweiten Vatikanum, die Priester wandten den Messdienern und der Gemeinde den Rücken zu – und alle schauten hin zum Tabernakel, der im Hochaltar untergebracht war. Wie geheimnisvoll und wie heilig das war. Messdiener zu sein bedeutete, teilzuhaben, viel näher, als es von der Bank aus möglich war.
Ein versunkenes Zeitalter, diese Jahre vor dem Zweiten Vatikanum, als der Katholizismus Volksreligion war. Sie sind in Deutschland vorbei. Die Weltkirche wächst, doch in unseren Breiten leeren sich die Kirchen. Es ist ja nicht so, dass sich Gläubige und Atheisten unversöhnt gegenüber stehen. Bei uns dämmern Gläubige hinüber in den Unglauben – und Agnostiker lassen sich plötzlich entflammen.
Der Glaube flammt auf, wenn es um Rituale des Trostes geht oder der Freude, um Beerdigungen oder Hochzeiten und Geburten, dann meldet er sich zurück in diesen Zeiten aufgelöster Bindungen, als ob er nur geglimmt hätte.
Und er flammt immer auf mit einem gewaltigen Bedürfnis nach Form. Wie gehen wir mit damit um? Bewahren, was noch steht – oder alles einreißen?
Das ist die alles entscheidende Frage, vor der die Kirche steht.“
Ab Seite 73 berichtet der Verfasser von seinen „Wilden Jahren“, die zeitlich und inhaltlich mit der 68er Revolte zusammenfallen, die auch ihn nicht unbeeinflußt ließ: „Ich hatte im Marxismus-Leninismus eine neue Religion entdeckt.“ – Doch bloß verstandesorientierte Theoriediskussionen und Marx-Lektüre allein vermochten ihn nicht zu erfüllen, weshalb er sich sodann der pseudo-romantischen Blumenkinder-Hippie-Gegenkultur zuwandte – einschließlich der Subkultur von Joints und LSD-Trips sowie der fast obligatorischen „Indienfahrt“.
Von Glaube und Kirchgang war der spätpubertäre 68er damals weit entfernt, doch immerhin begann er ein ernsthaftes Studium und fand so allmählich wieder ins bürgerliche Leben zurück. Doch für sein „seelisches Gleichgewicht“ sorgte, wie er schrieb, vor allem sein Vater, ein CDU-Bürgermeister, dem er in diesem Buch an mehreren Stellen ein dankbares Denkmal setzt:
„Es waren die Tage vor Ostern. Mein Vater kam mich besuchen. Er war voller Mitgefühl. Auf langen Spaziergängen redete er mit mir, ernst und sanft und liebevoll. Wir beteten. Und in diesen Tagen der Passion spürte ich, daß es tatsächlich auch für mich die Hoffnung auf eine Auferstehung geben konnte.“ (76)
Nach dieser Schilderung seiner persönlichen Irrungen und (Ver-)Wirrungen findet der Autor wieder zu grundsätzlichen Fragestellungen zurück, etwa nach dem christlichen Menschenbild, demzufolge wir Geschöpfe und Ebenbild Gottes sind und daher eine unantastbare Würde besitzen:
„Ohne diese Streckung einer Gesellschaft auf Ideale hin kann sie nicht funktionieren. Ohne diese Werte, die doch oft gerade im Glauben verkapselt sind, gibt es keine Zukunft – und die Anzeichen mehren sich, daß wir säkularen, glaubenslosen Gesellschaften sie uns zunehmend verbauen.
Wenn wir die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben als Gottes Geschöpfe nicht mehr haben, werden wir den Menschen als züchtbares Ersatzteillager, als Rohmaterial, als seelenlose Biomaschine sehen, mit der alle Experimente erlaubt sind. Daher ist der Einspruch der Kirchen etwa in Fragen der PID, der Präimplantations-Diagnostik ein zutiefst humaner. Wir dürfen uns nicht anmaßen, Leben danach zu beurteilen, ob es wert oder unwert ist.“ (92)
Bruchlandung für die „Religion“ des Atheismus
Matussek befaßt sich überdies kritisch mit jenem atheistischen Neodarwinismus, der einen Schöpfergott ausschließt (97 ff), aber auch mit den gottlosen Ideologien des
Nationalsozialismus und Kommunismus, die vorgeben, eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ zu sein; diese sei aber, so der Autor, „sichtbar gescheitert“: „Sie war in Unterversorgung und Massengräbern bruchgelandet. Nie hat eine Religion derart gewütet und verheert und gemordet wie die Religion des Atheismus, bei den Nazis genauso wie bei den Kommunisten.“(102)
Doch nach dem Kommunismus folgte vielfach der Konsumismus: kein theoretischer, vielmehr ein praktischer Atheismus mit oberflächlichem Genußleben als oberstem Ersatzgott. Auch hier greift Matussek zur scharfen Feder:
„Jetzt scheint sich aber eine neue Diktatur etabliert zu haben, nämlich die Spießigkeit einer Habsuchtsgesellschaft ohne jede Transzendenz, das heißt: ohne Hoffnung. Wir erleben den grassierenden religiösen Analphabetismus und das spirituelle Desinteresse der westlichen Überflußgesellschaft.“ (103)
Die religiöse Schwäche des Westens ist zugleich ein ernsthaftes Problem in der Abwehr der islamischen Gefahr, denn eine oberflächliche Genußgesellschaft kann dieser massiven religionspolitischen Herausforderung nichts Positives entgegensetzen, da ihr eigenen Ideale und Grundsätze fehlen. Zugleich sorgt die Meinungsdiktatur der „Politische Korrektheit“ dafür, daß die islamische Bedrohung kaum erkannt und noch weniger öffentlich thematisiert wird.
Auch hier sorgt Matussek Buch für Klarheit. Im Kapitel „Ausweitung der Kampfzone“ (123 ff.) befaßt der Autor sich mit dem Islam und der Christenverfolgung in dessen Machtbereich:
„Nach der Mitternachtsmesse am Silvesterfest 2010 explodiert eine Autobombe vor einer christlich-koptischen Kirche im ägyptischen Alexandria und reißt 21 Menschen in den Tod. Es ist nur eine kleine Hassbekundung von vielen in einem langjährigen Krieg, der aus Terror, Vertreibung und Diskriminierung besteht.“
Matussek beschränkt sich nicht auf einzelne Ereignisse, sondern nennt allgemeine Fakten:
„Für die Christen des Orient ist das vergangene Jahrzehnt eine Tragödie gewesen. Vor hundert Jahren bestand die Bevölkerung zwischen Mittelmeer und Zweistromland zu einem Fünftel aus Christen. Heute sind es nur noch rund fünf Prozent.“ – „Heute leben in der Türkei noch rund 100.000 Christen. Vor hundert Jahren waren es zwei Millionen.“
Für den Verfasser steht außer Frage, daß die im Westen weitverbreitete Verharmlosung des Islam keine Lösung sein kann: „Bei uns ist man vollauf damit beschäftigt, den Islam mit großen Umarmungen zu entschärfen, und seine Kritiker als Panikmacher zu diffamieren. Offenbar möchte man den Islam so lange ans Herz drücken, bis alles Kriegerische aus ihm abgeflossen ist.“
Dieser gängigen Schönfärberei stellt Matussek die Frage entgegen: „Was aber, wenn wir es mit einer Religion zu tun haben, die sich als Gefechtsideologie versteht und an aufklärerischen und demokratischen Domestizierungen überhaupt nicht interessiert ist?“
Matussek und Safranski im Religionsgespräch
Als interessant und gehaltvoll erweist sich auch Matusseks schriftlich niedergelegtes Zwiegespräch mit dem Philosophen und Schriftsteller Rüdiger Safranski; es geht darin um „heiße und kalte Religion“, Christentum, Islam und um den „Kulturkanon des Katholizismus“ (147 ff).
Safranski, bekannt u. a. durch diverse Schiller-Biografien und die Moderation des „Philosophischen Quartetts“ im ZDF – ist offensichtlich ein christentumsfreundlicher Agnostiker, dem der Glaube an einen persönlichen Gott zwar fehlt (er bekennt sich lediglich zu einem diffusen „göttlichen Prinzip“), der aber die geistig-kulturellen Prinzipien und Ideale des Christentums – vor allem der katholischen Kirche – deutlich zu würdigen weiß. Den sog. „neuen Atheismus“ kritisiert er scharf: „Heute ist der Atheismus eng geworden, dogmatisch, fantasielos. Deswegen muß man jetzt sagen: Gott ist nicht tot.“
Glaube ist freilich mehr als Kultur, Liturgie mehr als Schönheit, Gebete mehr als Poesie, die Kirche gewiß mehr als eine Art pädagogisch-soziale Anstalt. Aus Matusseks Gesprächsbeiträgen geht dieser Primat des Glaubens klar hervor. Gleichwohl sind auch einige Äußerungen Safranskis – etwa zugunsten des Zölibats – durchaus wohltuend, zB. folgendes Statement:
„Ich sehe, daß die allgemeine sozialdemokratisierte Meinung es als empörend empfindet, daß diese Priester so etwas Besonders sein wollen. Es ist empörend in unserer Gesellschaft, seine Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber der Sexualität zu behaupten. Es gibt eine hämische Art, das Hohe niedrig zu machen…Also diese Häme gegenüber dem Zölibat finde ich widerlich. Schon diese Art der Kritik am Zölibat veranlaßt mich, ihn zu verteidigen.
Wenn sie in diesen Talkshows herumsitzen und darüber lamentieren, welches Leiden diese Priester erdulden, diese komische Art von Fürsorglichkeit: dahinter steckt doch der übelste Konformismus. Nämlich der Konformismus der Sexualität – das ist doch jetzt unsere Religion. Kurz gesagt, in dem Moment, in dem Sexualität so was wird wie ein Massensport, tut es einer Gesellschaft gut, wenn es da ein paar Leute gibt, die stolz sagen: Ich verzichte.“(158)
Keine Frage, daß der priesterliche Zölibat wesentlich anders motiviert ist, daß er nicht aus der „stolzen“ Ablehnung einer allgegenwärtigen Sexdiktatur hervorgeht, sondern aus einer tiefen Begeisterung für Christus und seine Kirche, aus glaubensstarker Hingabe an Gott und liebender Sorge um das Seelenheil der Menschen. Gleichwohl sind viele zeitkritischen Beobachtungen Safranskis klarsichtig und couragiert – noch tapferer ist freilich das Matussek-Buch selbst in seiner Gesamtheit.
Felizitas Küble, Leiterin des Christoferuswerks in Münster Erstveröffentlichung dieses Artikels im „Theologischen“ (Juli-August 2011)Großer „Gebetstag“ in Marpingen am 12. August 2011
Veröffentlicht: 23. Juli 2011 Abgelegt unter: Marpingen 4 KommentarePater Dominique Gastineau, Leiter einer „Pater-Pio-Gruppe“, lädt derzeit zu einem „großen Gebetstag“ am Freitag, den 12. August 2011, in den Härtelwald nach Marpingen ein. Der Priester sucht regelmäßig mit seinem Kreis diesen „Erscheinungsort“ auf.
Am 12. August soll, so kündigt der Geistliche an, „das ganze Land dem unbefleckten Herzen Mariens geweiht werden, der Königin von Deutschland und der ganzen Welt“.
Marpingen ist eine kirchlich nicht anerkannte „Erscheinungsstätte“ im Saarland. Dort gibt es eine sog. „Heilquelle“: an eben dieser findet am 12. August 2011 ein Vortrag statt, danach Rosenkranz und „Abschlußsegen mit der Reliquie vom Heiligen Pater Pio“, wie es in der Ankündigung heißt. (Weshalb, so fragt man sich, erhalten die Pilger von Pater Gastineau keinen sakramentalen Segen? Keine Reliquie der Welt ist mit dem Allerheiligsten auch nur annäherend zu vergleichen!)
In seiner Einladung stellt Pater Gastineau den Anhängern von Marpingen ein Gebet vor, damit es verbreitet wird und als Vorbereitung dient „für den großen Tag des Triumphes des Unbefleckten Herzens Mariens und des Göttlichen Herzens Jesu am 12 August“. – Dieser Gebetstag am 12. August wird wie ein Glorientag verherrlicht und es stllt sich die Frage: Warum sollte gerade er den „Triumph“ der Herzen Jesu und Mariens darstellen oder einleiten? Zudem wird nicht erklärt, worin dieser „Triumph“ bestehen wird.
Sodann wird folgendes Vorbereitungsgebet empfohlen:
„Ewiger Vater, Vater aller Güte, ich opfere dir durch die Hände Mariens, der Miterlöserin der ganzen Menschheit, all die Heiligen Wunden und das Kostbare Blut auf, das Dein geliebter Sohn Jesus bei seiner Passion vergossen hat, in Vereinigung mit allen Heiligen Messen, die heute in der ganzen Welt gefeiert werden, damit der Tag des Triumphes des unbefleckten Herzens Mariens und des Göttlichen Herzens Jesus sich schnell ausbreiten möge von Marpingen aus, in Deutschland und in der ganzen Welt. – Himmlische Mutter Maria, ich bitte dich, vervollkommne diese Aufopferung durch deine Verdienste und vervielfältige sie so viel mal, wie es Blätter auf den Bäumen und Sandkörner auf der Erde gibt. Amen.“
Abgesehen vom Kuriosum des letzten Satzes („Blätter auf den Bäumen…“) wird hier der kirchlich nicht anerkannte Erscheinungsort Marpingen als zentraler Punkt hervorgehoben, von dem aus sich angeblich der „Triumph“ der Herzen Mariens und Jesu (in dieser Reihenfolge dort aufgeführt!) „ausbreiten“ solle. Überdies gehört die Bezeichnung Mariens als „Miterlöserin“ nicht zur kirchlichen Lehre.
Danach wird eine „Novene an die Gottes Mutter“ präsentiert, die mit den Worten beginnt:
„Komm Heiliger Geist, komm durch die mächtige Fürsprache des Unbefleckten Herzens Mariens, Deiner so geliebten Braut!“
Diese Anrufung stammt wörtlich aus dem „Blauen Buch“ des italienischen „Visionärs“ und Priesters Don Gobbi.
Die Novene lautet sodann:
„O Maria, unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter, mit allen Engeln und Heiligen grüßen wir Dich als die Königin des Himmels und der Erde, als Mutter des Lebens für Europa und für die ganze Welt. Wir rufen zu Dir: Sei Du unsere Königin als Frau aller Völker und Mutter der barmherzigen Liebe!“
Nachdem bereits Anleihen bei „Don Gobbi“ gemacht wurden, folgt nun eine Anrufung aus dem „Amsterdamer Botschaften“, nämlich der umstrittene Titel „Frau aller Völker“, der in der Lauretanischen Litanei der Kirche nicht enthalten ist.
Einige Zeilen später heißt es:
„O Mutter des Lebens und Mutter vom Sieg, lass doch bald das Friedensreich Deines Sohnes erstehen, auf dass der Triumph Gottes auf Erden bald anbreche. Barmherziger Vater: im Namen Jesu erhöre unser Flehen. Amen.“
Die Anrufung „Mutter vom Sieg“ stammt aus den Privatoffenbarungen von Wigratzbad, die ebenfalls kirchlich nicht anerkannt sind.
Felizitas Küble, Leiterin des Christoferuswerks in Münster
PS: Infos über die irrgeistigen „Botschaften“ von Marpingen finden sich in unserem Artikel: „Pater Jörg Müller zwischen Mystik und Magie“: https://charismatismus.wordpress.com/category/charismatik-und-visionen/p-jorg-muller/